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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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aneinander vorbei, und selbst James Canaughy schwieg.
***
     
    Vor Wut schienen Henriette die Worte zu fehlen. Den Rücken in kerzengerader Haltung, begleitete sie Mary den Flur hinab. Plötzlich hielt sie inne. »Darüber werden wir morgen noch zu sprechen haben«, stieß sie hervor und kehrte zu den Gästen zurück.
    Dass diese beherrschte Frau die Schwester ihres Vaters sein sollte, verwunderte Mary immer wieder. Nichts hatte sie von seinem Temperament, nichts von seiner Wärme. Stur, wie nur er es gewesen war, konnte sie sein, aber damit waren die Gemeinsamkeiten auch schon aufgezählt.
    Der Gedanke an den Vater weckte die Sehnsucht. Rasch griff sie in ihre Röcke, und die Stoffe bis über die Knie gerafft, huschte sie zum Behandlungsraum hinüber. Hier hatte der Vater einst, sobald keine Patienten mehr zugegen gewesen waren, seine Journale und Manuskripte geordnet. Hier konnte sie ihm immer noch nahe sein. Ein Vorhang verbarg die Tür, die in das Naturalienkabinett führte. Noch einmal lauschte sie auf den Flur hinaus, drehte den Schlüssel im Schloss und zündete die Öllampe an. Die Flamme loderte kurz auf, und die Schatten schwankten durch das große Zimmer.
    Der vertraute Geruch aus Staub und Farben schlug ihr entgegen. Die Schränke und Regale quollen über, Sammlungsstücke, wohin sie blickte. Selbst auf dem Boden stapelten sich noch Kisten mit Sammlungsstücken, die keinen Platz mehr gefunden hatten. Auf dem Tisch waren die Schichten papierner Bögen mit gepressten Pflanzen inzwischen ellenhoch gewachsen und lockten, sich in die Arbeit der Katalogisierung zu vertiefen.
    Mary zögerte. Womit sollte sie beginnen? Zuerst den schwarzen Hirschhornkäfer mit den glänzenden Zangen in die Vitrine einfügen? Oder das Herbarium sortieren? Nein, sie wollte nicht denken und öffnete den Schrank, in dem Aquarellfarben, Tusche, Rötel- und Pastellstifte, Tinten und Zeichenblätter aufbewahrt wurden. Neben das Papier legte sie die Kielfedern mit den geschwungenen Griffen aus Nussbaumholz. Mit ihnen wollte sie der Bleistiftskizze des gelben Enzians die Konturen verleihen und erst, wenn die Hände warm waren, die Details zeichnen.
    Ein Klopfen an der Tür. Leise und zaghaft. Das konnte nicht Henriette sein. Sie hätte an der Klinke gerüttelt und mit spitzen Fingerknöcheln aufs Holz geschlagen, dass man es noch zwei Zimmer entfernt hätte hören können.
    Mary öffnete die Tür einen Spalt. Vor ihr, im Dunkel, stand Landon Reed. Sie waren allein. Eine Pause entstand. Eine peinliche Stille, die sie nicht zu überbrücken wusste.
    »Darf ich eintreten?«, fragte Landon. Seine Stimme war leise, und eine Spur Unsicherheit schwang in ihr. »Bitte, sorgt Euch nicht«, fügte er an. »Ich habe mich verabschiedet und das Haus verlassen. Über den Hintereingang bin ich   …«
    Sie ließ ihn eintreten und schloss hinter ihm die Tür. Während er sich umsah, musterte sie ihn. Ein hochgewachsener Mann von mindestens sechs Fuß. Dunkles, volles Haar, in einen kurzen Zopf gebunden. Ein klarer, wacher Blick, der alles flugs zu erfassen schien. Nein, sie wollte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann nächtens wie ein streunender Hund ums Haus geschlichen war.
    Landon räusperte sich. »Und das ist also Plymouths berühmtes Naturalienkabinett?«
    Natürlich
, dachte Mary,
er kennt nur den Salon und das Rauchzimmer. Die Sammlung hat er noch nie gesehen. Aber er ist nicht hier erschienen, um mit mir über die Naturwissenschaften zu reden. Er weiß genauso gut wie ich, dass wir gerade jede Regel des Anstands übertreten.
    »Es würde mich freuen, mehr über die Sammlung zu erfahren.«
    Zeit will er gewinnen. Und jede Minute birgt die Gefahr, entdeckt zu werden.
»Nichts lieber als das«, sagte Mary, überrascht von ihrem gleichmütigen Ton.
Du klingst, als würdest du jede Nacht Besucher durch das Kabinett führen,
hielt sie sich vor und zeigte auf die Vitrinen. »In diesen Schränken wird die Insektensammlung ausgestellt. Jede der Schrankvitrinen birgt andere Arten: Eine zeigt Hautflügler. Seht hier, das sind beispielsweise Hummeln und Bienen. Daneben sind die Deckflügler einsortiert, das bedeutet Käfer aller Art.«
    Und jetzt, als Landon so dicht bei ihr stand, hörte sie das Rascheln der Seide seines Mantelrocks und roch die herbe Sandelholznote seines Parfums. Die Einsamkeit war seit der Abreise des Vaters ihre Begleiterin geworden. Sie war bei ihr schon morgens, wenn sie aufstand, während sie im Kabinett arbeitete, erst recht

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