Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
Tier beim nächsten Landgang wieder in die Freiheit entließen. »Er gehört nicht auf ein Schiff«, hatte er gesagt und dabei streng geklungen. »Ich habe es schon zu oft erlebt: Alle möglichen Tiere werden zum Zeitvertreib mit an Bord gebracht und krepieren dann vor Hunger, weil sich niemand mehr um sie kümmert. Wenn’s gut läuft. Wenn’s schlecht läuft, werden sie von irgendwelchen betrunkenen Hohlköpfen zu Brei geschlagen.«
Seth öffnete die Tür des Käfigs und strich dem Affen übers Fell. Flink kletterte das Tier heraus und setzte sich auf seine Beine.
Nat und ich werden uns um dich kümmern,
schwor Seth sich, während er den kleinen Rücken kraulte
, wir sind für dich da. Mach dir keine Sorgen. Aber ich muss mich mit Nat beraten. Dieses Lächeln, dieses tückische Leuchten in Dans Augen bedeutet Gefahr.
Atlantischer Ozean, 14. September 1785
Waffendrill war ausgerufen worden. Die Offiziere und Seesoldaten exerzierten auf Deck. Carl ließ das Papier sinken und beobachtete das Procedere. Wie die Männer ihre Arme mal auf die eine Schulter legten, mal auf die andere – sie sahen fast aus wie das Londoner Trane-Orchester. Albern und unprofessionell. Er schmunzelte.
Der Kapitän hatte durchgegriffen, um den einreißenden Müßiggang zu unterbinden. Erneut hatte er das Schiff komplett reinigen lassen, selbst die jungen Offiziere hatten im Zwischendeck mit anpacken müssen. Danach hatte Geschützdrill an den Kanonen und Drehbassen auf dem Programm gestanden, und nun mussten die Seesoldaten ihr Waffentraining absolvieren.
Carl blickte zum Himmel, der heute tiefblau und wolkenfrei war. In der Nacht hatte es aufgehört zu regnen. Peacock und er hatten den Polarstern beobachtet, der nun schon ein Stück tiefer am Nordhimmel hing. Beeindruckt hatte ihn das Kreuz des Südens, eines der Sternbilder, die man in England nicht zu Gesicht bekam. Hell hatten die Sterne am Firmament gestanden.
Am Morgen hatte sich die Sonne rot leuchtend aus dem Wasser erhoben. Schnell war der Dunkelheit das Tageslicht gefolgt, ein untrügliches Zeichen, dass sie sich dem Äquator näherten. Der Linie, die die Süd- und die Nordhalbkugel voneinander trennte und an der Tag und Nacht stets die gleiche Länge hatten.
Das zweite untrügliche Zeichen war die Liste, die er in den Händen hielt.
Ein Matrose hatte sie ihm überreicht. Katzbuckelnd hatte er sich verbeugt und gebeten, dass Carl das Papier dem Kapitän übergeben möge. »Das sind die ungetauften Mitglieder an Bord«, hatte er angefügt und seine Worte mit einem aalglatten Lächeln gekrönt.
Erneut rollte Carl die Liste auf. Es war grobes Papier, aber immerhin war die Handschrift gut lesbar. Eine Aufreihung von Namen, die mit »Die Mannschaft« unterzeichnet war. An erster Stelle entdeckte er die Namen seiner Gehilfen – Franklin Myers und Marc Middleton.
Marc Middleton.
Er schüttelte den Kopf. Es war ihm nicht leichtgefallen, eine Entscheidung zu treffen, wie er mit Mary Linleys Enttarnung verfahren sollte, und wohl fühlte er sich bisher nicht damit. Doch welche andere Wahl wäre ihm geblieben?
Hastig drängte er den Gedanken an die Frau beiseite und schaute wieder auf die Liste. Auch Rafael Peacock wurde genannt. Seth Bennetter, Nathaniel Bennetter, Lukas Smith. Andere Namen sagten ihm nichts. Zwei Kater mit den klingenden Namen
Whisky
und
Grog
wurden aufgeführt. Zu guter Letzt war selbst der Affe des Schiffes als
Affe Bennetter
verzeichnet.
Das kann man auch falsch verstehen,
spottete Carl innerlich.
Immerhin weiß ich jetzt, dass manche Tiere an Bord tatsächlich Namen haben. Das sind fast buchhalterische Qualitäten, die hier an den Tag gelegt werden. Erstaunlich, dass man nicht noch die Hühner aufgeführt hat oder die Ziegen, vielleicht noch den mageren Ochsen, den wir aus San Jago mitgenommen haben.
Er lehnte sich zurück und spürte die Stufe in seinem Rücken. Die Vorbereitungen für die Salztaufe wurden getroffen. Wenn sich niemand mehr freikaufte, würden heute noch einundzwanzig Männer ins Wasser fahren. Vier Tage lang, hatte Carl beschlossen, wollte er nicht auf seine Brandy-Ration verzichten. Doch gernwürde er ein Trankgeld entrichten, um sich freizukaufen. Nochmals sah er auf die Liste. Zwei Kater, ein Affe. Für die Tiere an Bord würde ein Aufschlag zu zahlen sein, den er entrichten würde. Damit konnte die Mannschaft dann ordentlich Brandy erwerben.
An der Großrah wurde ein Block festgebunden, ein Gewicht, das mit einem Tau
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