Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
jeder auf und sieht genauer hin.« Franklin strich sich über das Haar und schnaufte. »Seit Wochen teilen wir die Kajüte. Du kannst mir glauben, dass ich andere Sorgen habe, wenn ich mit dieser Frau alleine bin. Und das schlechte Licht, das würde auf mich fallen. Diese Verantwortung musst du nicht schultern.«
Auf dem Achterdeck tauchte eine schmale Silhouette auf. Mary. Mary Linley. Sie hatte die Hände in die Hosentaschen geschoben, die Mütze ins Gesicht gezogen und das Tuch eng um den Hals geschnürt.
Beide sahen sie zu ihr hinüber.
***
Auf dem Deck drängte sich die Menge unter der Großrah. Carl und Franklin standen ein wenig abseits beisammen und beobachtetenmit verschränkten Armen den Beginn der Salztaufe, bei der Zimmermann Toni den Anfang machte. Gut gelaunt stand er im Kreis der Männer, riss sich sein Hemd vom Leib und pfiff ein Liedchen durch seine Zahnlücke.
Na, wenigstens weiß ich jetzt, dass sein Arm wieder verheilt ist,
fuhr es Mary durch den Kopf.
Der Hüne grätschte die Beine und klemmte sich den untersten Dwarsbalken zwischen seine Schenkel. Den mittleren Balken packte er mit beiden Händen und presste ihn sich an die Brust. Seine Armmuskeln spannten sich.
Die Männer johlten, einige von ihnen hatten schon jetzt blutunterlaufene Augen. Wusste irgendjemand, wann sie mit dem Trinken begonnen hatten?
Ein Pfiff ertönte und zog Marys Aufmerksamkeit wieder auf die Großrah.
Toni wurde in die Höhe gehievt. Der dritte Balken, der direkt über seinem Kopf angebracht war, sorgte dafür, dass das Tau nicht zu weit an den Mast gezogen und der Täufling verletzt wurde.
Der Zimmermann baumelte über den Köpfen der Mannschaft, drehte sich ein wenig nach rechts. Er grinste und zeigte dabei seine Zahnlücke.
Ein zweiter Pfiff ertönte.
***
Er raste dem Wasser entgegen, das sein dunkelblaues Maul aufriss, um ihn zu verschlingen. Immer wieder hatte er die Männer, die ihn zur Großrah geschleppt hatten, angebettelt, sie sollten ihn nicht anrühren. Steif gemacht hatte er sich, die Beine schleifen lassen, herausgeschrien, dass er nicht schwimmen konnte.
Die Schiffsjungen würden immer getauft, hatten sie geantwortet und ihm den nach Grog stinkenden Atem ins Gesicht gelacht.
Immer noch schrie er, grell hörte er seine eigene Stimme.
Als er auf das Wasser auftraf, staunte er, wie hart der Schlag war. Mund und Nase füllten sich mit Wasser, er verschluckte sich und hustete. Das Salzwasser brannte in seinen Augen, doch er konnte sie nicht schließen, da er Angst hatte, dass es auch noch dunkel um ihn herum werden würde. Vor ihm trieben Blasen, unzählige kleine Blasen. Seine Arme wirbelten im Wasser herum, und er merkte, dass er nach hinten sank, weg vom Tau, an dem er sich festhalten musste.
Der Ruck nach oben brachte ihn völlig aus dem Gleichgewicht, kopfüberhängend holten sie ihn aus dem Wasser. Seine Nase, sein Rachen und seine Augen brannten, seine Schenkel und seine Hinterbacken schmerzten vom Aufprall. Für einen Moment ließen sie ihn am Seil in der Höhe hängen. Er hustete und zitterte, krümmte den Oberkörper und zog sich wieder in die Sitzhaltung zurück. Den Balken umklammert, schloss er die Augen.
Wieder stürzte er ins Wasser, doch dieser zweite Aufprall schmerzte nicht. Seth spürte, dass seine Beine in einer kälteren Strömung hingen als sein Oberkörper. Er winkelte die Beine an, öffnete die Augen und sah, wie über ihm das Licht an der Oberfläche wogte. Der Druck in seiner Brust wurde unerträglich.
Worauf warten die,
schrie es in ihm.
Warum ziehen die mich nicht hoch?
Ich werde sterben!
Plötzlich flogen das Schiff und die grölende Meute an ihm vorbei. In einem Zug wurde er in die Höhe gerissen und sofort wieder in die Tiefe geschickt. Als er das dritte Mal im Wasser verschwand, wusste er, dass er es überleben würde.
An Bord streckten sie ihm die Arme entgegen, klopften auf seine Schultern und hielten ihm trockene Wäsche hin. Vor aller Augen musste er seine Kleider wechseln.
Ich hasse sie, ich hasse sie alle,
dachte er und nahm dann den Krug mit Bier, den Nat ihm reichte.
Tahiti, 24. September 1785
Manchmal schämte er sich. Owahiri öffnete die Faust und schaute auf die graue Figur, die in seiner Hand lag.
»Das sind Zinnfiguren«, hatte Omai damals gesagt und eine Kiste geöffnet. In ihr hatten diese Figuren gelegen, klein und glänzend, fast kniehoch gestapelt. »In England spielen die Kinder damit. Wenn du möchtest, nimm dir
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