Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
wirkten mühsam, kaum, dass er stand, torkelte er zwei Schritte vorwärts.
Mary griff ihn um die Taille und setzte ihn wieder auf die Koje. Die nackte Haut seines Unterarmes war nass und kaltschweißig.
Wie bei Franklin, er hat die gleichen Symptome. Bleib ruhig,
ermahnte sie sich.
Bleib ganz ruhig.
»Mir ist ein wenig schwindelig«, sagte Doc Havenport, sein Atem eine Mischung aus Fäulnis und Alkohol. »Verzeiht mir. Aber vielleicht kann Euch Sir Belham behilflich sein, ich befürchte, unpässlich zu sein.«
Mary half ihm, sich wieder hinzulegen, und deckte ihn zu. Kurz fühlte sie seine Stirn, doch der Befund änderte sich nicht.
»Meine Hände, sie schmerzen. Ich bekomme so schwer Luft.« Er hustete.
Beklommen wich Mary zurück, trat an den Tisch und goss ihm ein Glas Wasser ein.
Doc Havenport winkte ab. »Unter der Koje, schnell, schnell.«
Im Halbdunkel erkannte Mary eine geöffnete Flasche Madeirawein. Sie hielt sie dem Schiffsarzt hin, er langte danach und nahm gierig einige Schlucke.
»Das hilft! Das ist so gut wie starker Grog«, sagte er, als er absetzte. »Geht jetzt! Kümmert Euch nicht um mich, versorgt den anderen Patienten.«
Mary griff nach Tasche und Lampe. Rückwärts trat sie aus der Kajüte, den Blick auf Doc Havenport gerichtet, bis die Tür sich schloss. Sie rannte nicht, sie jagte zu Carls Kajüte. Sofort saß er aufrecht in seiner Koje, den Blick wach und klar, als hätte er auf ihr Eintreffen gewartet.
»Schnell, komm«, schrie sie. »Franklin, Doc Havenport – sie sind krank. Die Hände, die Füße, sie können sie kaum oder gar nicht bewegen. Doc Havenport atmet schwer.«
In baumwollener Wäsche lief Carl vor ihr her, den engen Kajütgang entlang. Als sie die Tür zur Kajüte aufstießen, war Franklins Koje leer.
»Dort.« Carl zeigte auf den Boden.
Franklin kniete vor der Koje. »Ich wollte aufstehen, nur kurz, für einen Schluck Wasser. Aber meine Beine wollten mich nicht tragen. Mir ist schwindelig.« Er versuchte, sich an der Seekiste hochzuziehen, doch es gelang ihm nicht, und so kroch er nur ein Stück weiter.
Carl packte ihn und half ihm auf sein Bett. »Was fehlt dir?«, fragte er.
»Fisch. Der Fisch war’s, sage ich dir. Ich habe den Fisch gegessen. Doc Havenport saß mir gegenüber, er hat tüchtig zugelangt.« Mehrfach nickte Franklin. »Das Vieh schmeckte ölig. Seid froh, dass ihr nichts davon genommen habt. Widerlich, einfach widerlich. Ich habe nicht viel davon gegessen, aber Doc Havenport, wie ich schon sagte, der hat es sich munden lassen.«
»Meinst du, der Fisch war verdorben?« Mary blickte zu Carl.
»Das kann ich noch nicht sagen. Die Atemnot und Starre der Extremitäten machen mir Sorgen. Verabreiche Franklin ein wenig vom Kreuzdorn, wir müssen ihn purgieren. Gib ihm schweißtreibende Mittel, und wenn du ihn versorgt hast, dann komm zu Doc Havenport herüber.«
»Du lässt mich mit ihm alleine?«
»Marc, bitte lass uns jetzt nicht diskutieren. Wir haben zwei Kranke. Mindestens. Und Franklin hat weniger vom Fisch genommen. Wir müssen uns jetzt aufteilen.«
Geh nicht, bitte,
flehte es in ihr.
Ich habe Angst. Lass mich nicht alleine.
»Entschuldige«, sagte sie nur, und die Dunkelheit verbarg das Brennen ihrer Wangen.
Die Tür schlug zu.
»Komm schon!« Franklin sog die Luft ein, und ein Lächeln schob sich auf sein Gesicht, es war ein wenig schief und verzerrt, aber es erreichte seine Augen. »Gib mir ordentlich von der Purgiernuss, damit der Fisch mich schnell wieder verlässt.« Er zeigte auf Doc Havenports Tasche, die Carl hatte stehen lassen.
Wenn er könnte, er würde mich noch an die Hand nehmen, um mich durch die Behandlung zu führen
, dachte Mary. Sie öffnete den Verschluss der Tasche und spürte das verwitterte Leder unter ihren Fingerspitzen.
Ich muss mich beeilen, das Gift zerfrisst ihn.
»Du hast recht, der Fisch muss abgeführt werden. Und wenn ich dir dafür alle Pastillen verpassen muss, die ich zur Hand habe.«
Gut so,
beschwor sie sich,
weiter so. Plaudere auf ihn ein. Lenk ihn von seinen Schmerzen ab. Halt ihn mit deiner Stimme bei Bewusstsein.
Sie drehte sich zu Franklin um.
Sein Mund stand offen. Er presste sich die Hände auf den Brustkorb, und seine Augen quollen hervor. Wie ein an Land gespülter Fisch wand er sich übers Laken.
Der Tiegel fiel Mary aus den Händen. Die kleinen weißen Pastillen sprangen über den Boden. Sie ließ sich auf die Knie fallen, griff schnell eine von ihnen und legte sie auf Franklins
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