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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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blickte sich noch einmal um.
    Randy Hall saß inzwischen im Gras, und sein Hinterteil versank, selbst auf die Entfernung erkennbar, im Morast.
    »Gut, lasst uns eine Rast machen«, rief Carl und breitete eine ölgetränkte Plane aus.
    Stirnrunzelnd erhob sich Randy und versuchte, den Morast von seiner Hose zu wischen. Alsbald gab er auf und folgte den anderen, um mit ihnen Reisig für ein Feuer zusammenzutragen. Kaum erreichte der Midshipman die Plane, ließ er das gesammelte Geäst fallen und ging in die Hocke, die Augen geschlossen, das Gesicht blass und angestrengt.
    »Wenn der uns jetzt erkrankt, müssen wir sofort umkehren«, sagte Mary leise und brach vertrocknetes Astwerk aus einem kniehohen Busch.
    Carl nickte und schaute zum Himmel hinauf. Es hatte sich zugezogen, die Wolken ballten sich zu einer weißen Wand. Es war merklich kälter geworden. »Du hast recht, Marc, und wenn es jetzt noch zu regnen beginnt«, er ließ den Blick über die Umgebung schweifen, in der die Buchen sich zur höchsten Erhebung aufspielten, »dann finden wir nicht einmal einen Unterstand. Nehmen wir die Plane zum Schutz, werden wir vom Morast unter uns durchnässt.«
    »Es kommt sogar schlimmer«, antwortete sie und hielt Carl ihren rechten Arm entgegen. Auf dem dunklen Stoff lag eine kristallene Schneeflocke, die langsam schmolz. Gleichzeitig schauten sie auf. Vor der weißen Wolkenwand tanzten vereinzelte Flocken zum Boden herab.
    »Wir müssen zum Schiff zurück. Sofort«, rief Carl, und beide liefen los, dem Lager entgegen. Immer schneller, immer dichter fielen die Flocken. Schwer von Feuchtigkeit, durchnässten sie in kürzester Zeit das Haar und die Kleidung. Der Wind fuhr in die Nässe und ließ Carl schaudern. Kaum, dass sie das Gepäck wieder verschnürt hatten, lag eine geschlossene Decke Schnee.
    Nochmals schickte er einen Blick gen Himmel. Das Weiß der Wolkenwand war in ein beunruhigendes Dunkelgrau übergegangen. War das die Dämmerung, die hereinbrach, oder kündigte sich ein länger anhaltendes Schneetreiben an?
    Ein Tippen auf seiner Schulter ließ ihn aus seinen Gedanken auffahren.
    »Randy kann nicht mehr«, sagte Mary und deutete hinter sich.
    »Wer?« Für einen Augenblick war Carl desorientiert.
    »Der Midshipman. Von dem wir dachten, er würde erkranken.«
    »Was heißt hier ›dachten‹? Ist er erkrankt, oder ist er nicht erkrankt?«
    Mary krauste die Stirn. »Nein, er hat unsere Rumvorräte vernichtet und ist schlichtweg betrunken.«
    Bartholomäus stand neben Randy Hall, nahm ihm das Gepäck ab und warf es sich auf den Rücken. Er bot dem Midshipman, der inzwischen schwankte wie die Bäume im Schneetreiben, seinen Arm.
    »Verdammt, wer hat uns den mitgegeben?«, fragte Carl und presste sich die Finger auf die Augenbrauen.
    Sie zuckte mit den Schultern. »Sohnrey hatte sich für Bartholomäus ausgesprochen. Verwundert hat es mich durchaus, dass ein angehender Offizier für die Exkursion freigestellt wurde, also nahm ich an, Randy interessiere sich wirklich für unsere Arbeit. Wer weiß, wer den armen Teufel dem Kapitän anempfohlen und damit ihn wie auch uns in diese Situation gebracht hat.«
    Carl hob den Arm und gab Bartholomäus ein Zeichen. Sie liefen los. Laut schmatzten die Schritte im Morast.
     
    Auf dem Hinweg waren sie über den Bergkamm gewandert, an Büschen vorbei und über Geröll hinweggestiegen. Doch nun liefen sie seit geraumer Zeit durch einen pfadlosen Wald. Carl fiel auf, dass es in dieser Gegend lediglich sechs Baumarten gab, wobei eine Buchenart dominierte. Irritiert schüttelte er den Kopf, dass ihm selbst in dieser misslichen Lage derlei Details nicht entgingen. Doch er konnte nicht umhin, diese Erkenntnisse flogen ihm zu, und wenn er in sich hineinspürte, gab ihm die Flucht in gedanklich vertrautes Terrain ein wenig Trost.
    Der Boden war wieder fest, was das Vorankommen keinen Deut erleichterte, denn derweil kämpften sie sich durch dichtes Unterholz.Zweige schlugen ihnen in die Gesichter, die Kleidung verfing sich in dornigem Buschwerk, und die Dunkelheit nahm zu.
    Mary schloss zu ihm auf. »Wir haben den Weg verloren«, stellte sie unumwunden fest.
    Carl nickte und spürte die Unruhe in seinem Leib. »Ich weiß.« Seine Schultern sackten herab.
    Der Wind wurde schärfer.
***
     
    Die Glocke schlug acht Glasen, der selige Ruf, dass die Wachschicht beendet war. Ob er noch einen Landgang unternehmen sollte? Seths Füße und Finger schienen zu Eiszapfen gefroren zu sein, seine Nase

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