Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)
wäre.«
»Es ist so einfach. Du denkst, dass wir deinetwegen hier in der Wildnis sitzen. Aber dem ist nicht so. Keiner kennt den Weg zum Schiff. Wir leben, und wäre er kein Säufer gewesen, er hätte die Nacht überlebt.«
Bartholomäus schnarchte laut auf.
Carl und Mary schwiegen kurz und erhoben sich gleichzeitig. Sie beugten sich und hoben Randy Hall an.
Das Knacken der Zweige, vielleicht auch die Kälte, die Bartholomäus nun vollständig umfing, ließ ihn erwachen. Es dauerte einen Wimpernschlag, bis er sich orientiert hatte und begriff, was das Bild, das sich ihm bot, bedeutete. Vor ihm standen Carl und der Zeichner Marc, die den vierten Mann der Exkursion, an Armen und Beinen gepackt, trugen.
»Er hatte Brustschmerzen. Die hat er versucht, mit Grog zu betäuben. Immer wieder.« Bartholomäus räusperte sich, seine Stimme war belegt. »Kaum einer hatte mit ihm zu schaffen. Er war ein Trinker, aber ein wirklich netter Kerl. Einsam halt.«
Carl schaute dem Mann, der vor seinen Beinen in der Luft baumelte, ins Gesicht. Morgen, wenn sie mehr Licht haben würden, suchte er sich zu beschwichtigen, könnten sie ihn beisetzen. Mit Anstand und Würde. Etwas abseits des Feuers legten sie ihn ab.
»Lasst mich die Wache übernehmen. Schlaft ein wenig.« Bartholomäus kniete sich neben Randy Hall.
Carl sank auf das Öltuch, und Mary setzte sich neben ihn.
»Können wir zusammenrücken, damit wir uns beim Schlafen wärmen?«, fragte Carl und schämte sich, dass er auf einen Moment Nähe hoffte.
Sie rutschten näher aneinander und sagten kein Wort mehr.
***
Es war aufgeklart. Sterne waren zu sehen. Grau schob sich der eigene Atem, sobald er in die kühle Luft aufstieg, ins Blickfeld. Mary neigte den Kopf zur Seite. Carls Augen waren geöffnet, das Gesicht dem Himmel zugewandt. Seine Hüfte berührte die ihre. Gern hätte sie seinen Kopf an ihre Schulter gezogen, ihre Wange an ihn geschmiegt und ihm über das wirre Haar gestrichen. Ihm ein wenig seines Schuldgefühls genommen. Gern hätte sie ihn daran erinnert, dass sie die Übernachtung vorgeschlagen hatte, doch sie wusste, dass dieser Einwand zwecklos war.
Bartholomäus gab Reisig ins Feuer. Laut knackte das trockene Holz, als das Feuer nach ihm langte.
Mary drehte sich um, spürte Carls Wärme und schloss die Augen, ohne Schlaf zu finden.
Feuerland, 8. Dezember 1785
Fünf Happen zähes Fleisch für jeden. Mehr gab der Geier zum Frühstück nicht her. Müde und ausgekühlt saßen sie um das Feuer, und Mary ahnte, dass jeder von ihnen den gleichen Gedanken vor sich herschob. Randy musste würdig beigesetzt werden, doch die Erde war gefroren, und ihnen fehlte das Werkzeug, eine Grube auszuheben.
»Steine«, sagte Carl unvermittelt. »Wir können ihn unter Steinen begraben.«
Während sie Steine auflasen und Randys Leiche darunter verschwand, ging die Sonne auf. Der Schnee schmolz, doch der Boden blieb knochenhart.
Irgendwann zeigte Bartholomäus in Richtung eines Berghanges. »Dort vorn ist die Buchenlichtung, dort sind wir heruntergekommen.«
Er schwieg, und erneut wusste Mary, dass sie zu dritt einen Gedanken teilten: Sie waren nicht weit vom Schiff entfernt gewesen. Sie waren im Kreis gelaufen.
Carl legte einen weiteren Stein auf das Grab. Sein Kehlkopf sprang, als er schluckte.
Atlantik, 13. Dezember 1785
Wie ein Korken
, dachte Seth.
Das Schiff schlingert wie ein Korken durchs Wasser.
Er rieb seine Hände aneinander. Es war über Nacht derart kalt geworden, dass er die Finger kaum noch spürte. Der Wind jagte eisig ums Schiff und wollte nicht abflauen. Immer wieder schob er Wellen in die Höhe, die auf die Planken krachten. Immer wieder suchte das Wasser sich seinen Weg. Rinnsale schossen durchs Mannschaftsdeck bis ins Lager hinab. Inzwischen war alles klamm. Die Hängematten, das Holz der Seekisten, die Kleidung.
Auch auf dem Deck der Gentlemen hatte eine schwere Böe, die am Abend zuvor das Schiff erfasst hatte, für erheblichen Schaden gesorgt. Gläser, Flaschen und Geschirr, alles war durch die Messe und die Kajüten geschossen und zerbrochen. Das Krängen des Schiffes verteilte die Scherben noch in die letzten Ecken. Seth störte der abendliche Putzeinsatz nicht, war doch die Reinigung der Kajüten der Gentlemen eine gute Gelegenheit, sich zu vergewissern, ob sich der Affe vielleicht hierhin verkrochen hatte.
Bis tief in die Nacht wischte und fegte er, ohne jedoch eine Spur des Tieres zu entdecken. Feinste Splitter hatte
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