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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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vor Wut, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Es war sein Verschulden, dass sie die Nacht hier verbringen mussten. Der Kälte, dem Wind und dem Schnee ausgesetzt. Und mit einem Geier, einem jungen, mageren Vogel dazu, würden sie den Hunger kaum lindern können. Er ging vor dem Feuer in die Knie und hielt seine Hände vor die züngelnden Flammen. Das war also der Spätsommer auf Feuerland.
    »Er ist noch warm«, sagte Carl, zog sein Messer und schnitt dem Vogel die Kehle durch. Er ließ das Blut in eines der Sammelgläser hineinlaufen, bis es halb gefüllt war, und hielt es Randy hin. Der verzog das Gesicht, wodurch seine Nase noch schiefer wirkte.
    »Trink«, sagte Carl. »Das kann uns das Leben retten. Wer weiß, wie lange wir ohne Nahrung auskommen müssen.«
    Das Blut schwappte im Glas, als der angehende Offizier danach griff. Er hielt die Luft an und nahm einen Schluck. Angeekelt wischte er sich mit der Hand den Mund aus und gab den Trank an Bartholomäus weiter.
    »Nimm vom Schnee, damit kannst du den Mund spülen«, riet Mary dem Midshipman.
    Bartholomäus nippte und würgte, sog die Luft ein und nahm einen Mundvoll. Dann langte Mary nach dem Glas und trank mehrere Schlucke. Als sie Carl das Glas herüberreichte, berührten sich beider Finger.
Sie hat warme Hände, das beruhigt mich,
bemerkte er und schaute in das Glas. Ein Spiegel Flüssigkeit, der im Schein des Feuers fast braunschwarz glänzte.
Die Kälte setzt auch mir zu, ich sitze hier und mache mir über die unsinnigsten Dinge Gedanken.
Er trank. Das Blut hinterließ einen metallischen Geschmack auf der Zunge und rann lauwarm seine Kehle hinab. Nicht unangenehm, nur ungewöhnlich, in jedem Fall unvergesslich.
     
    Heißes Wasser. Hätte er den Geier in heißes Wasser legen können, hätten sich die Federn leichter lösen lassen. Mühselig hatte er sie stattdessen gerupft und über dem Feuer die restlichen Haare geflammt.Carl streckte ein Bein des Vogels, bis das Gelenk deutlich hervortrat. Mit mehreren Schnitten durchtrennte er die Sehnen und Bänder am Fersengelenk. Mit zwei Fingern hob er die Haut über dem Kropf und rieb sie gegeneinander. In die Haut stieß er das Messer, ein sorgfältiger Schnitt, dann zog er die hellen Lappen nach links und rechts auf. Den nun freiliegenden Kropf, die Speisewie auch die Luftröhre zog er mit einer kreisenden Bewegung heraus. Unter dem Brustbein schnitt er den Bauch auf, behutsam, um nicht den Darm zu treffen. Mit der Klinge löste er die Bauchdecke und entfernte die Innereien samt Darm. Am Ende rieb er den Vogel mit Schnee ab, dann nahm er das Tuch, in das der Zwieback eingeschlagen gewesen war, und hüllte die magere Beute darin ein.
    »Wir sollten den Vogel erst morgen früh aufbereiten. Ist das in eurem Sinne? Ich denke, wir brauchen vor dem Marsch eine Stärkung«, schlug Carl vor, und die anderen nickten.
    »Dann lasst uns schlafen. Wer übernimmt die erste Wache?«
     
    Carl schlug die Augen auf. Es war dunkel und kalt. Dicht über sich sah er Mary, der Schein des Lagerfeuers warf Schatten über ihr Gesicht. Weshalb, fragte er sich schlaftrunken, war ihm in den ersten Wochen nie aufgefallen, dass ihr Kinn trotz des Grübchens viel zu schmal und der Mund wiederum zu voll und sinnlich war? Offensichtlich genügten Hose, Hemd und ein paar derbe Schuhe, um die Wahrnehmung zu trüben.
    »Wachwechsel«, flüsterte sie.
    Mühsam streckte Carl die ausgekühlten Beine durch. Linkerhand lag Bartholomäus, in der Mitte, direkt vor ihm, Randy Hall.
    »Da. Da   …«, flüsterte Mary plötzlich und richtete ihren zitternden Finger auf den Midshipman.
    Carls Herz machte einen doppelten Schlag. Er packte den Mann an der Schulter und riss ihn herum. Die Augen waren geöffnet, der Blick gebrochen.
Wenn es einen Gott gibt, werde ich im Fegefeuer schmoren,
brüllte es in ihm auf.
Es sind zu viele. Wir verlieren auf
dieser Fahrt zu viele Männer. Es ist, als würde ein Fluch auf unserem Schiff liegen.
    »Dich trifft keine Schuld.«
    Carl schaute die Frau an seiner Seite an. Die dunklen Augen hielten seinen Blick fest. »Nein, ich weiß. Mich trifft keine Schuld, dass wir uns verlaufen haben, und mich trifft auch keine Schuld, dass ein Mann auf einer Expedition unter meiner Leitung zu Tode gekommen ist.« Er langte sich an die Stirn, sein Kopf schmerzte wieder. Schlagartig und berstend.
    »Genauso ist es. Randy war betrunken. Und heute nicht das erste Mal. Der Alkohol hat ihn geschwächt.«
    »Wenn es so einfach

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