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Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition)

Titel: Vom anderen Ende der Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Winterberg
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nicht«, antwortete Seth gehorsam und rutschte ein Stück vom Segelmacher ab, besorgt, er könne die Lüge spüren.
    »Siehst du.« Segelmacher-John klang zufrieden, als er nach der Jacke griff. Die Stoffreste der Hose legte er beiseite. »Und, hast du gestern von dem Hai gegessen, den man gefangen hat?«
    Seth schüttelte den Kopf. »Nein«, ergänzte er. »Der roch widerlich.«
    Segelmacher-John hatte bei seiner letzten Frage die Stimme gesenkt. Wenn er das tat, fasste er meist Ungeheuerliches in Worte. Nun hieß es, sich vorzubeugen, die Luft anzuhalten und aufmerksam zu lauschen, um ja kein Wort zu verpassen.
    »Mach das bloß nicht«, sagte er leise.
    »Was?«, flüsterte Seth.
    »Fleisch vom Haifisch zu essen.«
    »Warum?«
    »Haie fressen Menschen, das weißt du. Und vielleicht ist hier irgendwann, irgendwo ein Schiff gekentert. Verstehst du?«
    Seth schüttelte den Kopf.
    »Na, vielleicht hat der Hai Menschenfleisch gefressen.«
    »Ja, und?«
    »Na, wenn der Hai einen Menschen gefressen hat und du diesen Hai isst, dann isst du ja Menschenfleisch.«
    Das war ein beeindruckender Gedanke. Eine Gänsehaut lief Seth über die Arme, und er rückte wieder näher an Segelmacher-John heran.
    »Na, sieh mal, wer da kommt.« Segelmacher-John deutete mit dem Ellenbogen nach links.
    Lukas kam den Gang heruntergelaufen. »Wo ist dein Bruder?«, rief er schon von Weitem.
    Seth zuckte die Schultern und schlüpfte in die Hose, die ihm Segelmacher-John entgegenhielt.
    »Vielleicht bei seinem Affen.«
    »Na, auch egal.« Lukas packte ihn am Ärmel. »Komm schnell, ich zeig dir was.«
    »Herrlich«, griente Segelmacher-John vor sich hin. »Kinder und Weibsvolk sind wie das Meer: Sie schweigen nie.«
     
    Seth klammerte sich in den Wanten fest, dass die Taue in seine Handinnenflächen schnitten. Der Wind riss an der Jacke, doch er wollte nicht ein Stück weiter in die Tiefe klettern. Er wollte alles sehen. Ganz genau. »Terra de Fueko«, brüllte er in den Wind und verschluckte sich daran. Er hustete und hörte, dass Lukas, der auf seine Höhe geklettert war, kicherte.
    »
Tierra del Fuego
heißt das. Land des Feuers. Magellan hat die Inseln so getauft, als er hier vorbeisegelte.«
    Seth blinzelte und schaute zu Lukas hinüber. Woher wusste er das alles? Und wer war dieser Magellan? Er sagte nichts und ließ sich wieder vom Anblick der düsteren Bergketten in den Bann ziehen. Schwarzgraue Wolken hingen so weit hinab, dass es den Eindruck erweckte, sie wollten die Gipfel der Berge verschlingen.
    »Er hat die Küste
Tierra del Fuego
genannt, weil er einzelne Feuer über die Berge hinweg verteilt sah. Die Bewohner sind Nomaden, die haben keinen festen Wohnsitz. Sie ziehen mit ihrem Hab und Gut umher, und so kann man Lagerfeuer an vielen verschiedenen Orten sehen. Das ist nicht so wie bei uns, wo man sich in einem Dorf zusammenrottet, nie weiterkommt als bis zum Rand des eigenen Feldes und dem nächstgelegenen Marktplatz.«
    Die Berggipfel waren mit weißleuchtendem Schnee und eisgrauen Gletschern bedeckt, die sich scharf gegen die dunklen Felsen absetzten. Die Wolkendecke riss auf, und Sonnenlicht fiel in einzelnen Strahlen aufs Wasser.
    »Es soll Menschen geben, die verlassen ihr Dorf nie. Sie werdendort geboren, in der Enge, und dort sterben sie auch. Nichts sehen sie von der Welt. Ob sie wissen, was sie versäumen?«
    Seth schüttelte den Kopf und stimmte Lukas in Gedanken zu. Der Seesoldat war schlau, und er konnte den Dudelsack spielen, dass einem das Herz schwer wurde. In den letzten Wochen hatte er selten musiziert, doch vielleicht würde sich das ändern, sobald sie wieder Land betraten. Vom Deck her erscholl mehrstimmig das erste Lied, das die Männer anstimmten. Gleichzeitig begannen die beiden den Abstieg.
***
     
    Im Grunde waren sie nackt. Zumindest so nackt, dass Mary errötete und in den Wipfel eines Baumes hinaufsah
. Du hast gewusst, dass die Einwohner Feuerlands ohne Kleidung herumlaufen,
rügte sie sich, senkte den Blick und musterte verstohlen eine Frau.
Immerhin trägt sie ein Seehundfell um die Schultern, und einen Lendenschurz aus Leder hat sie um die Hüften geschlungen. So schlimm ist das doch nicht.
Die Stimme in ihrem Kopf hatte einen beschwichtigenden Ton angenommen, den Ton einer Mutter, die ein verschrecktes Kind zu trösten versucht.
    Zwei Männer kamen ihnen mit ausholenden Gebärden entgegen.
Die Männer
, rief eine andere Stimme in ihrem Kopf, heller und aufgeregter als die bisherige.
    Ja, was ist

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