Vom Daemon verweht
kleine Mädchen«, meinte Mrs. Able.
»Genau!« Ich klammerte mich wie eine Ertrinkende an diese Ausrede. Gleichzeitig riss ich mich von Marissa los und rannte in Richtung Schule. Ihr frustriertes Stöhnen hallte in meinen Ohren wider. Irgendwann würde ich mich mit ihrer Wut auseinandersetzen müssen. Aber offen gesagt, würde ich mich lieber einem Kampf mit einem Dämon stellen.
Ich erreichte die Tür und riss sie auf. Im Inneren fand ich mich auf sowohl vertrautem als auch völlig unbekanntem Terrain wieder. Ich bin nie selbst auf eine Highschool gegangen, aber in den wenigen Monaten, seit Allie hier war, hatte ich mich bereits so sehr im Elternbeirat engagiert, dass ich die verlorenen Jahre meiner Jugend locker wieder aufgeholt hatte.
Die Schule war mehr oder weniger in der Form eines Christbaums angelegt. Im dreieckigen Hauptteil befanden sich die Klassenräume, und im braunen »Stamm« waren Cafeteria, Aula und Ähnliches untergebracht. Die Turnhalle bildete den Christbaumhalter. Mit anderen Worten gab es also ein großes Rechteck am unteren Ende.
Augenblicklich befand ich mich im orangefarbenen Flügel, der sich über die ganze Länge der einen Seite des Weihnachtsbaumdreiecks erstreckte. Der Dämon war nirgends zu sehen, aber auch sonst konnte ich keinen Menschen entdecken. Das war schon mal beruhigend. Mit etwas Glück befanden sich die Schüler bereits in der Turnhalle und warteten darauf, dass die Festlichkeiten des Familientags beginnen würden.
Sinclair hatte die Schule am einen Ende des Korridors betreten. Das bedeutete, dass er entweder leicht nach rechts abgebogen sein, die Doppeltür aufgemacht und den Aufenthaltsbereich zwischen dem orangefarbenen und dem blauen Korridor betreten haben musste, oder er war gleich scharf nach rechts um die Ecke und dann schnurstracks geradeaus den orangefarbenen Korridor entlanggerannt.
Da es für einen wütenden Dämon wahrscheinlicher war, dass er einfach geradeaus stürmt (Psychologie der Dämonen, Seite 101), lief ich ebenfalls in diese Richtung. Ich erreichte das Ende des Gangs, riss dort die Tür zum Aufenthaltsbereich auf und stürzte hinein.
Kein Sinclair. Verdammt! Also eilte ich durch den Raum, an dessen Wänden übergroße Landkarten der Vereinigten Staaten hingen, die aus dem Augenwinkel heraus wie blaugrüne Schlieren aussahen. Sekunden später riss ich die nächste Tür auf – und blieb abrupt stehen. Direkt vor mir stand meine Tochter. Und hinter ihr, am anderen Ende des Ganges, sah ich, wie Sinclair um die Ecke verschwand.
»Allie!«, keuchte ich verblüfft.
»Mami!« Sie warf ihre Arme um mich, drückte mich an sich und schien sich dann plötzlich daran zu erinnern, dass sie inzwischen ein Teenager geworden war. Also löste sie sich hastig von mir und steckte ein wenig ungelenk die Hände in die Jeanstaschen. »Mein Gott, Mami! Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Ist bei dir alles in Ordnung?«
»Ich…« Ich schloss den Mund und zwang mich, Allie anzusehen und nicht mehr dem Dämon nachzublicken, der inzwischen gänzlich aus meinem Blickfeld verschwunden war. »Ich… Ja, klar. Bei mir ist alles bestens. Warum? Sehe ich denn nicht so aus?«
»Na ja. Wir haben ganz normal geredet, und dann hast du plötzlich geschrien und – «
»Ach das!« In dem ganzen Tumult hatte ich das völlig vergessen. Nun war es an mir, sie in meine Arme zu nehmen und an mich zu drücken. »Ich bin so stolz auf dich! Meine Tochter wird veröffentlicht. Meine Tochter, eine Autorin. Das ist fantastisch.« Ich trat einen Schritt zurück. »Aber ich muss jetzt wirklich gehen.«
»Ma-ami! Du hast geschrien.«
Ich hielt inne, da ich einsah, dass es sinnlos war, ihre Frage einfach zu ignorieren. »Stimmt. Ich bin gestürzt.« Das klang gut. Also fuhr ich fort. »Ich bin mit dem Bus der Coastal-Mists-Leute mitgekommen und habe mit dir am Telefon gesprochen, und da habe ich plötzlich das Gleichgewicht verloren. Ich bin flach auf dem Boden gelandet, und das Handy ist in tausend Stücke zersprungen.« In Wahrheit wusste ich gar nicht, wo sich das Telefon befand, aber es schien mir wahrscheinlich, dass es kaputt war.
»Hingefallen?«, wiederholte sie ungläubig, und ich konnte deutlich hören, dass sie ihre Zweifel an meiner Geschichte hegte.
»Ich schwöre es«, schwindelte ich weiter wie eine Weltmeisterin.
»Mann, Mami! Du hast uns echt zu Tode erschreckt!«
»Ach, Schätzchen«, sagte ich und nahm sie noch einmal in meine Arme, während mich das schlechte
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