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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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er für diese provozierende Geste außerordentlich dankbar und nahm mit großer Hingabe seine Meditationen wieder auf. Er empfand es als großes Glück, wieder zum einfachen Schüler geworden zu sein, der beim Essen Schlange steht und Geschirr spülen hilft. Auch wenn er nicht mehr den früheren Rang in der Gemeinschaft innehatte, erlebte er sich dem Wesentlichen näher.
    Gurus, Zen-Meister oder Mystiker widersprechen in ihren Aktionen oft unserem logischen Verstand, sprengen die gewöhnlichen Verhaltensmuster und lassen sich nicht durch vorgefasste Einschätzungen aus der inneren Ruhe bringen. Ihre einzige Aufgabe sehen sie darin, die harte Schale des Ego zu knacken und uns zu unserem innersten Wesen zu führen. Dass das manchmal auch mit Konfrontation, Abgrenzung und Zurückweisung verbunden sein kann, ist angesichts der Unempfindlichkeit und Festigkeit unserer mitgebrachten Panzer einleuchtend. Es geht dabei aber nicht um eine eigensinnige Aktion des Meisters, sondern nur darum, dass der Schüler aufwacht.
    Gurumayi (1989, Bd. 2, S.372) erzählte vom Guru Muktananda folgende Geschichte:
    »Bhagawan Nityananda verhielt sich manchmal ganz seltsam. Wenn ihn jemand etwas fragte, was er besser nicht gefragt hätte, hob er einen Stein auf und verjagte ihn. Manchmal wünschte ich, wir hätten dabei sein können, wenn er das tat, nur um die Freude eines solchen Moments zu spüren. Wer von seinen Kieselsteinen getroffen wurde, wurde entweder reich oder sehr gelehrt oder ein großer Yogi. Der Kieselstein hatte eine sehr spirituelle Wirkung.«
    Wenn jemand seinen Meister gefunden hat, kommt es in der Folge entscheidend darauf an, sich mit seinen Interventionen zu arrangieren und sich mit ganzem Herzen hinzugeben. Die Vertiefung der Hingabe darf aber nicht mit blindem Vertrauen verwechselt werden, denn echte Wahrheiten sind krisenfest und halten der Auseinandersetzung stand. Nicht Abhängigkeit und Unterwürfigkeit sind das Ziel, sondern Verantwortlichkeit und gegenseitige Achtung. Da ein wahrer Meister den langen Weg der spirituellen Transformation selbst gegangen ist, ist die spirituelle Führung nicht auf Zwang oder Angst gegründet, sondern von Respekt und Liebe getragen. Gelebte Transparenz, Bescheidenheit, Güte, Toleranz und Wahrhaftigkeit sind untrügliche positive Kennzeichen. Nach längerem Zusammensein mit dem Guru sollte der Schüler erkennen, dass er sich in positivem Sinne zu verändern beginnt. Wenn seine Autonomie zunimmt und er mehr Bewusstheit über sich selbst erlangt, kann er sicher sein, die richtige Wahl getroffen zu haben. Persönliche Anweisungen von einem Menschen akzeptieren wir in letzter Konsequenz nur dann, wenn wir ihn aufrichtig, gütig, authentisch und wahrhaftig erleben. Für die Prüfung eines spirituellen Meisters sollte man allerdings nicht allein sein Verhalten heranziehen, sondern die erspürte Geisteshaltung.
    In der buddhistischen Sicht ist der Meister der »spirituelle Freund«, eine Verkörperung von Weisheit und Mitgefühl, mit dessen Hilfe dem Schüler zur Wissensschau und Erlösung verholfen werden soll. Die Übertragung der transzendenten Qualitäten findet von Herz zu Herz und von Wesen zu Wesen statt. Über die intensive Beziehung zum Guru wird die Spiegelung der eigenen Entwicklung in einer klaren Weise ermöglicht, so dass der Schüler nicht nur subtile Unterstützung, sondern auch Rückmeldungen und Hilfen erhält. Da der Meister selbst den Weg der direkten Erfahrung bis zum Ende gegangen ist, ist er in der Lage, in den Erfahrungen des Schülers die vorhandenen Probleme zu erkennen und ihn durch ritualisierte Übungen und Anweisungen für die nächste Stufe vorzubereiten. Im selbstverwirklichten Zustand handelt der Guru aus dem höheren Selbst heraus spontan richtig, weil er absichtslos und frei von persönlichen Interessen ist. Er kann zwar dem Schüler nichts abnehmen, aber Ermutigung spenden, den Weg der Befreiung weiterzugehen und die Hindernisse zu überwinden. Im Zen-Buddhismus wird das Bild von der Henne und vom Küken gebraucht. Das Küken pickt von innen die Schale auf, und die Henne hilft von außen etwas nach, um das Küken in die Freiheit zu bringen. Die spirituelle Kraft des Meisters kann auch wortlos auf den Schüler überströmen. Dafür ist nicht einmal die körperliche Anwesenheit des Gurus erforderlich. Durch Mitgefühl und segenspendende Akte lässt er die Menschheit an seiner universellen Liebe teilhaben. Im Äußeren zeigt er sich als persönlicher

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