Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes
spiritueller Lehrer, dem wir begegnen können, und innerlich steht er für den göttlichen Funken, der als höheres Selbst, als weiser innerer Führer tief in uns wohnt. Beides zusammen ist das, was in den östlichen Traditionen als Guru-Prinzip verstanden wird. Die intensive Hingabe an den Guru ist die Verehrung der göttlichen Qualität, die in allen Wesen aufleuchtet.
Meister und Schüler sind in tiefster Weise durch die Gemeinsamkeit des Seins verbunden. Die katalytische Kraft des Meisters steht außerhalb der gewohnten Rollen, ist unabhängig von persönlichen Beziehungen und allein vom Wirken der überfließenden kosmischen Energie bestimmt. Der Meister nimmt unsere Erfahrungen geduldig an, ermutigt uns nach Rückfällen und geht uns bei eruptiven Durchbrüchen einen Schritt voraus. Der Prozess der Begleitung erfolgt über lange Strecken fast unmerklich und kann dann auch wieder durch verbale Kommunikation und Feedback direkt und persönlich werden. Die Aufgabe des Schülers ist dabei, sich allen Prozessen aufrichtig zu stellen. Da der Meister in seinem Seinszustand unabhängig von Raum und Zeit wirken kann, ist sein Beistand nicht auf persönliche Begegnung angewiesen, sondern kann zum Beispiel auch in die Meditation einfließen. Wahre spirituelle Meister erinnern den Schüler stets daran, dass er nach innen schauen muss, weil er alles, auch den wahren Guru, in sich selbst findet. Die innere und die äußere Führung sind integrierte Pole eines universellen Prozesses. Die Person des Meisters steht dann nicht mehr im Vordergrund, denn der Schüler findet seinen Guru im Inneren und versteht, dass er gefunden hat, was immer schon in seiner Mitte war: das universale Selbst.
Bevor sich die spirituelle Perspektive im Alltag festigt, sind einige Schwellen zu beachten.
Faszination und Ernüchterung
Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben, wann der bewusste »Weg zur Ganzheit« anfängt. Er beginnt, bevor er beginnt. Rückblickend sind es meistens viele Stränge, die dorthin geführt haben. Die meisten Suchenden erwähnen, dass es schon in der Kindheit Situationen gab, in denen Kontakte zu transzendenten Welten auftraten, die größtenteils um Beistand gebeten wurden. Engelbilder, innere Gespräche mit Gott oder Schutzgeistern, aber auch Visionen von Licht oder tiefe Verbundenheit mit der Natur wurden nachträglich in ihrer Qualität als Öffnungserlebnisse wahrgenommen. Nur allzu oft wird die kindliche der erwachsenen Mystik gegenüber als unreif oder präpersonal abgewertet. Betrachten wir dies jedoch von einem universellen Standpunkt aus, ist das unzulässig, denn jedes Stadium hat seine eigene Richtigkeit für den gesamten Prozess. Das universale Selbst wirkt jenseits von Prägungen und Strukturen. Bei kindlichen Begegnungen mit Religiosität wird aber auch von Übergriffen in kirchlichen Zusammenhängen, Zwang zum Beten oder scheinheiligen Ritualen gesprochen. Bei betont atheistischer Erziehung werden demgegenüber geheime Kirchenbesuche mit Freundinnen erwähnt. Dann gibt es noch die Eltern, die den Kindern eine strikte anthroposophische Einstellung beibrachten oder mit ihren kleinen Kindern indische Ashrams aufsuchten, um sie schon frühzeitig an das Meditieren heranzuführen. In all diesen Fällen hat sich eine ambivalente Haltung ausgebildet: einerseits eine ausgeprägte Angst vor Spiritualität, andererseits aber auch eine tiefe Sehnsucht danach.
Wenn Menschen ihre Lebensgeschichte unter diesem Aspekt betrachten, fällt überdies auf, dass plötzlich »Zufälle« im Zusammenhang mit der weiteren Geschichte entdeckt werden, so als würde es eine unerkannte Regie geben. Auch das motivierte diese Menschen, sich eingehender mit Sinnfragen zu beschäftigen.
Bitte nehmen Sie sich ein wenig Zeit, um innezuhalten und zurückzublicken. Vergegenwärtigen Sie sich prägende Situationen in Ihrer Kindheit, die mit Religiösem oder Transzendentem verbunden waren.
Diese Erfahrungen, die vielleicht schon in Vergessenheit geraten sind, können eine gute Verpflegung für die weitere Reise sein. Nun wenden wir uns dem bewussten Erwachen zu. Im erwachsenen Leben gibt es vielleicht einen Zustand oder ein Ereignis, durch das Sie den Schritt in ein bewusstes Leben vollzogen haben. Um diese wichtige Nahtstelle herauszufinden, müssen wir uns zunächst mit dem unbewussten Lebensstil auseinandersetzen, weil er auch später immer wieder durchbrechen kann.
Erlauben Sie sich bitte, wahrzunehmen, wie Ihr Alltag verlief, als Sie
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