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Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes

Titel: Vom Ego zum Selbst: Grundlinien eines spirituellen Menschenbildes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvester Walch
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weites Feld tat sich auf, nichts mehr war wie vorher. Beeindruckt von dieser Allverbundenheit, kehrte sie glückselig und gelassen zurück.
    Wenn wir innehalten, werden wir gewahr, dass es in uns etwas Größeres, Strömendes und Weites gibt, darin Seele, Körper und Geist einschwingen und eins mit allem werden. Dort fühlen wir uns ruhig, sicher und stark. Diese Heimat ist immer bei uns, überall und jederzeit. Es ist nur ein ganz kleiner Schritt dorthin: einfach der Öffnung nach innen folgen! Der Mensch kann, unabhängig von den unberechenbaren Wirren des Schicksals, auf etwas vertrauen, das ihm ganz nahe ist.
    Für C. G. Jung ist mitten in uns das All-Eine präsent:
    »Dieses Etwas ist uns fremd und doch so nah, ganz uns selber und uns doch unerkennbar, ein virtueller Mittelpunkt von … geheimnisvoller Konstitution … Ich habe diesen Mittelpunkt als das Selbst bezeichnet … (es) … könnte ebenso wohl als der ›Gott in uns‹ bezeichnet werden. Die Anfänge unseres ganzen seelischen Lebens scheinen unentwirrbar aus diesem Punkt zu entspringen, und alle höchsten und letzten Ziele scheinen auf ihn hinzulaufen.« (C. G. Jung, 1971, S.134 f.)
    Wenn die Alltagsgeräusche leiser werden, öffnet sich das Ohr des Herzens. Meister Eckhart drückt dies in einem einfachen Vierzeiler aus: »Ich will sitzen und will schweigen und will hören, was Gott in mir rede.« Im Christentum heißt es: »Das Reich Gottes ist in dir«, im Buddhismus: »Schau nach innen, du bist der Buddha«, im Yoga: »Gott wohnt in dir als du«, im Hinduismus: » Atman (das individuelle Bewusstsein) und Brahman (das universale Bewusstsein) sind eins«, im Islam: »Wer sich selbst kennt, kennt seinen Herrn«.
    Direkt in uns können wir eine Seinsqualität finden, die alle Vorstellungen und Konzepte sprengt. Ob als Licht, Verbundenheit oder Gnade erlebt – es scheint vollkommen, faszinierend und klar. Es ist die vibrierende Energie, die den Menschen in außergewöhnlichen Augenblicken durchrieselt, der Glanz in den Augen, die elektrisierende Berührung, die glitzernde Pracht über dem Scheitel und das Licht hinter dem Herzen. Es ist wie ein inneres Lächeln voller Güte und Liebe, das durch alles hindurchscheint, gleichzeitig aber alles und nichts, jedes und keines davon ist. Das universale Selbst leuchtet unaufhörlich in allen Lebewesen, in der Natur und im Kosmos, in unterschiedlichen Formen und Farben. Diese Strahlung kann sich ausbreiten oder verdichten. Jeder erlebt es anders, und es ist trotzdem wie aus einem Stoff. Das unvergängliche Licht des Selbst im Innersten jedes Menschen erscheint in vielfältiger Ausprägung. Wer es in sich erlebt, erkennt es plötzlich nicht mehr nur als eigenen Kern, sondern auch in jedem Menschen, überall, wo man hinsieht.
    Einmal erlebte ich mich in der Meditation wie von einem blau leuchtenden Lichtkegel eingehüllt, der sich dann zu einer winzigen Perle zusammenzog. Danach sah ich die Weltkugel von außen und alle Menschen durch ein lilafarbenes Band verbunden. Das universale Selbst ist innerhalb und jenseits der Mannigfaltigkeit des Lebens, alles durchpulsend. Es wurde weder geboren, noch wird es sterben. Alles, was existiert, ist von dieser Natur, ohne etwas dahinter oder davor. Es kann nicht mehr vermessen werden, da darin Vergängliches und Ewiges, Endliches und Unendliches zusammenfallen. Für Muktananda (1987, S.41) wohnt es für immer im Herzen aller Menschen, »… kleiner als das Kleinste und größer als das Größte«.
    Einer Seminarteilnehmerin erschien das Selbst symbolhaft als Schale: »Diese tönerne Schale mit dem geflochtenen Rand … diese Schale nahm an Größe ab, wurde kleiner, kleiner, die kleinste Dimension, die ich erfahren konnte, wurde zum Schnittpunkt zweier sich in mir kreuzender Linien von weit außen dem Schnittpunkt immer näher, um dann langsam auseinanderzugehen zum Großen, größer zum ewig Großen. Das Kleinste und das Größte wurden dadurch für mich als dasselbe wahrnehmbar, als etwas, das miteinander zusammenhängt, voneinander abhängig ist. Es war eine völlig unspektakuläre Erfahrung von Ewigkeit – ganz kurz nur geschaut, aber sicher für immer in mir, nicht mehr zu vergessen.«

    Das universale Selbst aktualisiert sich im zeitlosen Licht, das in jedem Teilchen existiert, im Om, das in jeder Zelle vibriert, im Heiligen Geist, der alles durchdringt. In den Erscheinungen des Weltlichen, die von den Fundamenten des All-Einen getragen werden, verwirklicht

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