Vom Himmel das Helle
anbelangte, ließ sich einfach nicht wegdiskutieren. Und je länger ich hier mit Mark festsaß, umso heftiger wurden meine Zweifel, ob ich tatsächlich das Richtige vorhatte. Der einzige Weg, dagegen vorzugehen, war, endlich zur Tat zu schreiten.
Ich spürte, dass mein Dialog mit Mark ewig weitergehen würde, ohne dass es sich für mich lohnen würde. Kurz entschlossen, entschied ich mich zu einer ungewöhnlichen Vorgehensweise. Ich schaltete jedes Gefühl an ihn ab, das ich in mir spürte. Ich brauchte nur an meinen Vater zu denken. Daran, dass er vermutlich jede volle Stunde auf seine Uhr blickte, um sich zu fragen, wo ich nur bliebe und warum ich ihm nicht Bescheid gegeben hatte, damit er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Daran, welches Ausmaß die Strafpredigt hätte, die ich mir würde anhören müssen, sobald ich die Haustür hinter mir im Rücken spürte. Ich sah sein von Angst verunstaltetes Gesicht, das mir entgegen sprang wie ein bissiger Hund und hörte seine Worte, dumpf und schwer und bisweilen stachelig wie ein Kaktus in der Wüste. Die Tatsache, dass ich in meinem Alter noch immer oder schon wieder Rechenschaft ablegen musste, war so was von krank, dass es schon wieder schräg und irgendwie sogar witzig war. Diese Gedanken, diese Bündelung von Emotionen, die ich so real spürte, als fänden sie in diesen Minuten statt, halfen mir Mark auszuschalten. Er verblasste wie ein lange Zeit von der Sonne angestrahltes Aquarell.
Ich wunderte mich einen kurzen Moment darüber, wie leicht es ging und dass ich nicht schon früher auf diese Möglichkeit gestoßen war. Sie war so naheliegend. Wenn ich meine Gefühle für Mark ignorierte, konnte er nicht mit mir sprechen. Er war wie ein abgestelltes Radio, denn ich war nicht mehr auf Empfang. So einfach war das. Und so effektiv.
Ich rutschte mit einem leisen Seufzer des Schmerzes von Friedrichs Schreibtisch und ging, noch nicht ganz trittfest, aber mit umso mehr Elan, Richtung Keller davon.
Ich hatte keine Lust, mir länger Angst machen zu lassen. Schließlich war es verrückt genug, mit einem Toten zu sprechen. Mit zweien zu kommunizieren – mit Mark und Friedrich Lohmann zugleich –, war eindeutig zu viel. »Was ist der größte anzunehmende Ernstfall, Lea?«, murmelte ich, während ich die Klinke der Tür, hinter der ich die Jazzklänge ausmachte, hinunterdrückte. Ich kam nicht mehr dazu, mir gedanklich zu antworten, denn was ich im nächsten Augenblick zu sehen bekam, ließ mir den Atem stocken.
Dreißig
Almut stand in seinem Zimmer und das Licht der Lampe strahlte auf sie herab. Vermutlich sah sie wie eine Marienerscheinung aus. Ähnlich den Bildchen, die früher in der Bibel in der Kirche lagen und die sie manchmal fasziniert, meistens aber entsetzt betrachtet hatte. Einfach, weil sie nicht glauben konnte, dass es eine märchenähnliche Welt mit Engeln und Heiligen geben sollte, während in ihrem Leben das Schrecknis der Ungerechtigkeit, des Streits aber auch des Schweigens tobte und sie so keinen Zutritt zur Welt der Heiligkeit, der Süße und des Friedens fand. Mit den Eltern gab es ständig Streit. Meistens wegen Nichtigkeiten, weil sie aufmuckte, abends länger ausblieb und tat, was sie wollte. Vorschriften waren nun mal nichts für sie. Sie war frei und wollte es auch spüren.
Bewegungslos stand sie da und registrierte, dass sie Bogdan ansah, als würde sie ihm am liebsten einen Fußball mit voller Wucht ins Gesicht donnern. Fun, happiness, party damit war sie bisher bestens zurecht gekommen. Etwas anderes als Vergnügen war für Almut nie infrage gekommen. Es gab kein Sündenregister, keine Pluspunkte oben im Himmel, wenn man unten auf Erden immer schön brav gewesen war. Schwachsinn, über so etwas überhaupt nachzudenken.
Bogdan lag auf der Couch und sah Almut fragend an. Der Jogginganzug, den er trug, hing schlabberig an seinem Körper. Sein Grinsen war genauso haltlos und salopp wie sein Aufzug. Er hatte die Brauen zueinander gezogen, als kommunizierten sie miteinander. Die Augen wie gefrorenes, blau-grünes Wasser. Almut wusste inzwischen, dass er in Grenzsituationen der Typ Mann war, dem die Worte wie ein Gewitter aus dem Mund kamen. Dunkel, schwer, blitzartig. Nichts Gutes hinterlassend.
Er wirkte fasziniert ungehobelt. Ungehobelt bedeutete bei ihm ursprünglich, nicht verstellt, sondern echt und natürlich. Er wirkte wie unbearbeitetes Holz, stark und unbeugsam. Und sah dabei blendend aus. Er war deshalb faszinierend, weil er
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