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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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mich bis zur letzten Treppenstufe vorgekämpft und nahm neben einem imposanten Rundschrank mein Handy zur Hand. Erleichtert registrierte ich einen letzten Balken auf dem Display. Vielleicht würde ich noch einen kurzen Anruf tätigen können. Ich zögerte keinen Moment und rief Franks Nummer auf. Doch anstatt seine Stimme zu hören und ihm mitzuteilen, wo ich war und was ich dort vorhatte, hörte ich nur seine nüchterne Mailbox-Stimme. »Frank Kastein, sprechen Sie nach dem Piep.«
    »Hi, Frank«, flüsterte ich. »Ich hab all meinen Mut zusammengenommen und bin jetzt …« Ich hörte den aggressiven Alarm meines Handys, der klarmachte, dass nichts mehr mit Telefonieren war. Sendepause, bis ich mein Gerät aufgeladen hätte. Entsetzt drückte ich das Handy gegen meinen Körper, als könnte ich einen Ton, der längst ausgesandt war, rückwirkend aufhalten. Ich horchte in die Stille des Hauses hinein, darauf gefasst, dass Almut vielleicht alarmiert worden war. Doch nichts geschah. Vermutlich genoss sie, wie so oft, über Kopfhörer Musik. Das würde auch ihren unterlassenen Abschiedsgruß für Norma Thata erklären. Ich hörte nur die leisen Hintergrundgeräusche des Hauses, die jeder kennt. Ein leises Summen des Kühlschranks sowie ein Knarren des sich ausdehnenden oder zusammenziehenden Holzes.
    Ich weiß nicht weshalb, aber ich schlich wieder nach oben und suchte mit leise tapsenden Schritten die Küche, ein riesiges Gäste-WC und ein großes dunkles Büro ab, als ahnte ich, dass sich dort irgendwo ein Aufladegerät befinden könnte. Almut und ich hatten dasselbe Handy. Das war mir aufgefallen. Ich hatte Glück. Im Büro steckte ihr Aufladegerät in der Steckdose. Ich steckte mein Handy an und sofort schossen die Balken auf dem Display in die Höhe. Vielleicht sollte ich hier ein paar Minuten warten und die Nachricht auf Franks Mailbox beenden. Nur für alle Fälle.
    Ich hatte mich schon entschlossen es zu tun, als mich ein seltsames Geräusch ablenkte. Ich schoss herum und spürte, wie mein Atem stockte. Schwerer, angstdurchtränkter Atem, der flach anstatt lang gezogen war, hastig anstatt ausfüllend.
    Ich wusste, dass die Fähigkeit meines kognitiven Gehirns, vernünftig nachzudenken, in dieser Situation gar nicht funktionieren konnte, da mein emotionales Gehirn in äußerste Alarmbereitschaft versetzt war. In solchen Fällen wird der präfrontale Kortex abgeschaltet wie ein Lichtschalter. Wenn die vor allem körperlich fühlbaren Abläufe erst mal in Gang sind, werden wir von Emotionen regelrecht überschwemmt. Ab dem Zeitpunkt denken wir nur noch in Kategorien wie Angreifen, Verteidigen, Flucht. Egal, was es kostet. Jede vernünftige Reaktion, jeder Lösungsansatz geht im Gewirr des Denkens und Fühlens verloren. Diesem Desaster sah ich mich ausgeliefert.
    Ich setzte die Atemübungen ein, die jeder Notfallpsychologe aus dem Effeff beherrscht, atmete bis tief in den Bauch hinunter und aus dem Mund wieder aus. Das wiederholte ich einige Male, während ich hinter dem Schreibtisch von Friedrich Lohmann hockte und das Dunkel des Zimmers mit meinen Blicken und Empfindungen abtastete und zu meiner Verwunderung nichts vorfand, außer einem letzten Rest meiner Angst.
    Einen Moment lang glaubte ich, einer Illusion aufgesessen zu sein, ähnlich wie man eine Verliebtheit fälschlicherweise als Liebe interpretiert und sich am Ende im emotionalen Fiasko wiederfindet. Dann hörte ich es erneut, diesmal eindringlicher, lauter, entzifferbarer: Jazzklänge. Martin Grubinger am Xylophon, als verbindendes Element eine Violine, die klang, als gäbe es kein Morgen. Wahrscheinlich war Benny Schmitz derjenige, der sie sich in die Halsbeuge geschoben hatte. Des Weiteren hörte ich Trommeln, einen Kontrabass und ein Klavier. Ich stockte und spürte, wie die Unterseite meiner Oberarme an meinem Körper festwuchsen. Auf meiner Oberlippe standen Schweißperlen.
    Die schönen, berauschenden Klänge kamen nicht von oben, wo ich Almut vermutete, sondern von unten. Sie kamen wie lieb gewordene Gäste, die sich in Schale geworfen hatten, nur, sie kamen im falschen Moment und aus der falschen Richtung. Die Musik, die mich sonst in Verzückung versetzt hätte, brachte mich jetzt vollends durcheinander. Ich lauschte alarmiert der anspruchsvollen Musik und stand nach geschätzten zwei, drei Minuten endlich auf, um zum Türrahmen zu wanken, wo ich wie ein Scherenschnitt wirkte. Der Gang zum Keller lag im Dunkeln, aber der Mond schickte fahles

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