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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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derjenigen, die einen mit einer einzigen Handbewegung, mit einem Blick töten konnten.
    Innerhalb von Sekunden explodierte ein Feuerwerk in meinem Gehirn und ich nahm alles auf einmal wahr. Sein kantiges Gesicht mit einer einzigen Prägung. Einer Narbe über der gesamten rechten Wangenhälfte. Die Narbe sah wie eine Tätowierung aus, die eine Schlange darstellte. Eine, die sich zum Ausruhen eingeringelt hatte, aber jeden Moment erwachen konnte, um mit einem Biss wie nebenbei ihr tödliches Gift zum Einsatz zu bringen. Sie zog sich bis zum Kinn hinunter und sogar darüber hinaus. Ihr Ende befand sich vermutlich erst am Hals. Als Nächstes blieb mein Blick an seinen schmalen Lippen hängen, die dunkelviolett durchzogen, seltsam marmoriert wirkten. Das Befremdendste jedoch waren seine Augen. Sie blickten mit einem stumpfen Blick in die Welt. Eisiges Schweigen in dem schwarz-weißen Gemisch seiner Augen, die weit auseinander standen und, weshalb wusste ich nicht, an Widerhaken erinnerten. Augen, die von kurzen, zurechtgestutzten Brauen ergänzt wurden. Ein Kanal des Bösen. Die kurzen braunen Haare maisgelb gesprenkelt, wie ich es von alten Bananen kannte, machten aus dem markanten Gesicht etwas Verwaschenes, Abgelaufenes. Zu wenig Haar für zu viel Gesicht und zu viel Eindruck für einen einzigen Moment.
    Als er den Mund öffnete, diese violette Absperrung in seinem Gesicht, kamen zu meiner Überraschung eine Reihe makelloser Zähne zum Vorschein. Jeder ein Kunstwerk. Reinweiß, gerade gestellt, ohne Lücken. Sie waren der Schmuck in seinem Gesicht. Ich spürte, wie meine verspannten Muskeln sich lösten und die größte Angst aus mir wich, wie die Luft aus einer Luftmatratze.
    Noch bevor er ein Wort gesprochen hatte, kam er auf mich zu und packte mich an den Schultern. Seine Augen wurden noch schwärzer, Kugeln des Grauens, die sich auf meinem Körper niederließen, um ihm die Luft abzuschnüren.
    Ich wusste weder was sagen, noch was tun. Ich stand stocksteif da. Mittendrin in einer Situation, von der ich nicht wusste, wohin sie führte.
    Ich machte wohl ein trostloses Gesicht, denn mir war schlagartig klar geworden, dass ich meine Offensive nicht hinreichend geplant hatte. Ich hatte mich in eine völlig absurde Situation hineinmanövriert. Eine Notfallpsychologin, die einen Notfall provozierte. Und zwar ihren eigenen. Herrgott, in was hatte ich mich da nur hineingeritten. Da stand ich nun in einem Zimmer in Almuts Keller und wusste nicht weiter.
    »Bleib ruhig«, zischte der Mann mit der Narbe. Sein Ton ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Er presste mir seine riesige Hand auf den Mund, so dass mir wirklich für einen Moment die Luft wegblieb. Ich schnappte nach seiner anderen Hand und presste sie mit aller Kraft zwischen meine Schenkel. Doch ich erschrak über meine eigene Kraft und ließ sie wieder los. Ein fataler Fehler. Er packte mich erneut und diesmal presste er mir die Unterarme gegeneinander. Ich stieß mit aller Wucht meine Nägel in sein Fleisch. Sofort schoss Blut aus seiner Hand, lief ihm den Arm hinunter und mir auf die Oberschenkel und die Kleidung. Doch mehr als ein kurzes Wimmern war ihm nicht zu entlocken. Seine Arme verrichteten weiterhin ihren Dienst und hielten mich fest. Spürte er etwa keinen Schmerz? Was war mit seinen Reflexen? Blieb mir kein Mittel, gegen ihn vorzugehen? Ich begann mich wie ein Wurm zu winden, ihn mit den Hacken meiner Schuhe gegen die Unterschenkel zu treten, immer auf die Knochen zielend und mit der Absicht, seinem Körper, der mich umgab wie ein Schraubstock, zu entkommen.
    »Beruhig dich. Du bist ja eine wild gewordene Furie.« Seine Stimme klang wie ein Motor, der lange nicht geschmiert worden war. Ich spürte erneut, wie der Puls des Hasses und der Bedrängnis in mein Herz gelangten, öffnete einen Spalt weit meine Lippen, sog sie, so gut ich konnte, nach innen, hielt kurz die Luft an und rammte meine Zähne in seine Hand. Er ließ sofort von mir ab und jaulte den gepressten Schrei eines verletzten Tieres, das in eine Falle geraten war. Sein Schrei, obwohl unterdrückt, war das schönste Geräusch, das ich mir in diesem Moment vorstellen konnte. Ich wand mich unter ihm hindurch, endlich frei, und rannte davon.
    Er reagierte ohne Zögern, stürzte hinter mir drein und schlug mit seinem Oberkörper in meinen Rücken, warf mich und zugleich sich zu Boden wie ein unfreiwilliges Liebespaar, das es ungestüm auf die erste körperliche Begegnung am Boden

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