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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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davon. Während sie auf ihren Lover zuschritt, wackelte sie mit ihrem Hintern, dezent, aber wahrnehmbar, als könne sie meinen Vater damit irre machen. Was ihr offenbar auch gelang. Er hatte das ganze Ausmaß des verlorenen Liebes-Krieges in seinem Gesicht stehen. Er stöhnte leise, griff nach seinem Weinglas und schoss sich die Flüssigkeit in den Körper, wie ein Drogensüchtiger sich einen Schuss setzte oder eine Linie Kokain aufsog. Das war sie also, seine falsch verstandene Form der Liebe.
    Ich hatte plötzlich Mitleid mit ihm. Das hier war wohl eher verbissene Leidenschaft und zerschlagene Sicherheit, die man dem jeweils anderen lange genug abgerungen oder vorgegaukelt hatte. Ich seufzte in das Ächzen meines Vaters hinein und legte meine Hand auf seine. Ich meinte es ehrlich, als ich flüsterte: »Denk nicht so viel darüber nach. Es lohnt nicht. Es war nur ein Zeitvertreib. Ein Spiel, das jeder von euch mit anderen Regeln gespielt hat. Das Leben bietet neue Gelegenheiten.«
    Mein Vater schüttelte den Kopf, deutlich sichtbar und ziemlich verstört: »Die Bedeutung unserer Trennung überwältigt mich einfach. Ich kann nichts dagegen tun.«
    So ehrlich war er noch nie zu mir gewesen. Ich spürte, wie sich etwas, das bisher verknotet und verklebt war, in mir löste und mein Gesicht ausputzte. Ich empfand tiefes Mitgefühl, es schlich sich in mein Herz und verband uns für einen kurzen Moment.

Sechsunddreißig

    Es war Mitternacht, als wir nach Hause kamen. Vier Füße, die mit harten Schritten den Parkettboden des Flurs einnahmen. Mein Kopf wandte sich ihm zu und ich lächelte und entließ meinen Vater, der schon einige Male hinter vorgehaltener Hand gegähnt hatte, aber noch immer bedrückt dreinschaute, mit einem kurzen Gutenachtwunsch in sein Zimmer. Danach trat ich erneut vor die Tür, und auf die Straße und stieg in meinen Wagen. Ich hatte keine Ahnung, was mich um diese Zeit ins Revier trieb. Aber ich verspürte weder das Bedürfnis mich ins Bett zu legen und zu schlafen, noch irgendetwas anderes anzugehen, was man um die Zeit üblicherweise tat. Ich wollte im Büro Franks Unterlagen durchsehen.
    Als ich mein Ziel erreicht hatte und das geisterhaft wirkende Treppenhaus hinaufstieg, fühlte sich das richtig an. Im Büro suchte ich Franks Tisch ab. Ich fühlte mich plötzlich schmetterlingsleicht. Frank hatte wie üblich einen Wust an Papieren, Post-its, leeren Coladosen, aufgerissenen Chipstüten und mehrere Fotos von Carmen auf seinem Arbeitstisch verstreut. Ein buntes Sammelsurium seines Universums. Ich schob das Unwichtige und alles Private beiseite, nicht ohne einen Moment über die seltsame Entwicklung zwischen Carmen und Frank zu lächeln, und kramte dann im Rest herum.
    Als Erstes fiel mir etwas bezüglich der Schmauchspurenuntersuchungen in die Hände. Natürlich waren die Schussentfernungsbestimmungen durchgeführt worden. Die Schusshanduntersuchungen dagegen nicht, denn wir hatten weder Täter noch Verdächtigen und schon gar keine Tatwaffe. Zur Aufklärung von Schussdelikten ist neben der Untersuchung der Tatwaffe und der Tatmunition die kriminaltechnische Auswertung von Schussspuren notwendig. Die Munition hatten wir. Das war aber auch schon alles. Frank hatte sich einige nichtssagende Notizen gemacht und sie an den Computer, ans Telefon und den Rand seines Schreibtischs geklebt. Das machte er immer so und beschwerte sich hinterher, dass ständig irgendeiner dieser Zettel auf dem Boden, in Ecken, unter Staubflusen, Schokoladenpapier oder sonstigem landete.
    Ich wusste, dass die Untersuchungen auf dem chemischen Nachweis von Schussresiduen beruhten. Anfangs hatte ich lernen müssen, was man darunter verstand.
    Immer wieder hatte Frank mir eingebläut, dass bei einem Schussvorgang zuerst eine Pulverschmauchwolke, die aus Stoffen des Anzündsatzes und des Treibladungspulvers sowie aus verdampftem Material von Projektil und Hülse besteht, die Laufmündung verlässt. Wenn das Projektil den Waffenlauf tatsächlich verlassen hat, erfolgt ein weiterer Ausstoß von Schmauch. Im weiteren Verlauf überholt das Projektil die erste Pulverschmauchwolke, wodurch Schmauchspuren auf der Projektiloberfläche abgelagert werden. Durchdringt das Projektil endlich das Objekt, in unserem Fall den Körper von Friedrich Lohmann, dann werden die Schmauchanhaftungen an der Randzone der Primär-Einschussöffnung abgestreift. Der sogenannte Abstreifring entsteht, der eine eindeutige Unterscheidung zwischen Ein- und

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