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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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sich nach mir um und lächelte. Seltsam, aber mir kam es so vor, als hätten sich ihm die Chiffren seines Lebens ins Gesicht gemeißelt. »Der verdorbene Fisch!« Er suchte in meinen Augen nach einer Bestätigung. »Ich wollte dich zum Essen eingeladen, weil wir den Fisch nicht gegessen haben. Schon vergessen? Vergesslichkeit ist eigentlich nicht üblich in deinem Alter.« Die Worte sollten freundlich klingen, kamen aber wie meistens als verkappte Bosheiten rüber. Davon einmal abgesehen, hatte die Sache mit dem Fisch offenbar eine Höhle ins Zentrum seines Gewissens gegraben. Ich wollte nachsichtig sein, denn ich fand es eher an der Zeit, ein Signal zur Versöhnung auszusenden, als munter weiter zu streiten. Deshalb sagte ich freundlich: »Wenn du mit mir essen gehen willst, fein, lass uns den Abend genießen.« Mark wäre stolz auf mich gewesen, denn ich zeigte Bereitschaft zur Kooperation. An diesem Abend würde ich es mit Milde versuchen. Vielleicht war die Liebe ja eine Insel, auf der viele Menschen Platz hatten. Sogar mein Vater.

    Wir fuhren durch die sich füllende Stadt. Durch die Scheibe des Taxis beobachtete ich Menschen, die der Feierabend aus ihren Wohnungen vor die Tür trieb. Sie liefen die Straßen entlang. Die meisten schützten sich unter Schirmen gegen den unaufhörlichen Regen oder schlängelten sich an den wenigen Bäumen entlang, deren oberste Äste dem Himmel entgegenstrebten wie um einen Hauch Sonne zu erhaschen. Am nächsten Morgen. Das Taxi fuhr zügig durch die Schluchten der Stadt. Nach einer Weile hielt der Wagen vor einem der teuersten Lokale der City. Ich stieß die Luft aus der Lunge, öffnete die Tür und stellte meine teuren Schuhe auf den nassen Asphalt. Mein Vater ignorierte die Notwendigkeit eines Schirms, nahm mich am Arm und führte mich unter die helle Balustrade, die sich an die Eingangstür des Restaurants schmiegte. Wir betraten das Lokal. Eine mit wunderbaren Gerüchen angereicherte, warme Luftströmung schlug mir entgegen und hüllte mich ein wie ein sanfter, weicher Schal. Der Empfangschef kam auf uns zu mit einem erprobten, immer wieder einstudierten Lächeln. Er schälte mich aus dem Trenchcoat, tuschelte mit meinem Vater und führte uns nicht etwa an einen der intimen Nischentische, für die das Restaurant rein optisch gesehen bekannt war, sondern an den mittigsten aller möglichen, der Auslage des Restaurants.
    Wir nahmen Platz. Ich stellte meine Schuhe auf den hellen Marmoruntergrund. Ein Griff nach der Karte. Kurze Empfehlungen, was die Getränke anbelangte, wenig später, was das Essen anging. Wir bestellten lauter Dinge, die ich sonst nie aß. Französische Gerichte. Zuerst Austern, dann Zwiebelsuppe, danach Lamm in Kräuterkruste, dazu Pommes savoyade und frischer Spinat. Eine Flasche Wein und eine Karaffe Wasser, als Dessert eine Variation aus Mousse au Chocolat, Eis aus Tahiti-Vanille mit flambierten frischen Feigen, Mille feuille mit Himbeeren und einem Karamellpudding nach Art des Hauses. Ich konnte es kaum glauben. Ich saß tatsächlich mit meinem Vater in diesem Nobelrestaurant. Ich wusste zwar, dass er gern gut aß, aber etwas derart Exquisites leistete er sich äußerst selten und wenn, dann nur mit einer Herzdame.
    In die Kategorie hatten weder ich noch er mich je eingereiht. Sollte sich das in Anbetracht der Lage, dass er bei mir wohnte, geändert haben?
    »Lea, ich möchte, dass wir beide …«, mein Vater nahm meine Hand zärtlich in seine und führte sie sich bis an den Anschlag seiner Lippen, »… heute einen entspannten Abend verbringen. Gut essen, ein bisschen plaudern. Selbstverständlich nicht über zu renovierende Kunst und auch nicht über Leichen, sondern über das sich leicht Verflüchtigende des Lebens: Gefühle, Ahnungen, Situationen, Wünsche, Begehrlichkeiten. Vielleicht noch die Aussicht auf die Zukunft. Du kannst es dir aussuchen. Ich bin bereit.« Meine Güte, das waren Aussichten. Was war nur mit ihm geschehen?
    Ich zog meine Finger aus seiner Hand. Die seltsame Berührung, die ich nicht gewohnt war, oder besser gesagt, noch nie durch ihn erlebt hatte, irritierte mich gehörig. »Das sind ja ganz neue Sitten«, meinte ich überrascht. Ich lächelte warm, um meine Irritation zu überspielen.
    Ich konnte mich nicht dagegen wehren, dass ich einen Moment an Mark dachte. Wenn es seine Hand wäre, die meine hielte, was geschähe dann? Wenn er wieder seinen Körper bekäme, nur für einen einzigen Abend, einen wie diesen, wie würde meiner

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