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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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Hände lässig vor dem Oberkörper verschränkt. Der Macher, der in die Kamera lächelt. Sie wog das Foto in ihrer Hand, als müsse sie den Wert abschätzen. Die Auktion ihres Lebens fand in wenigen Sekunden statt und brachte viel zu wenig ein.
    »Friedrich!«, flüsterte Almut und dabei schluckte sie notdürftig die Trockenheit in ihrer Kehle hinunter.
    »Es klingt verrückt, ich weiß, aber ich hab dich geliebt. Jetzt weiß ich es endlich.« Almuts Stimme brach. Sie drückte das Foto fest an ihre Brust, als müsse sie es schützen. »Unsere gemeinsame Zeit ist vorbei. Ich muss alleine weitermachen …« Sie zögerte, nahm das Foto von ihrer Brust und stellte es zurück ins Regal. Sie wischte sich mit der Hand übers Gesicht, stieß laut die Luft aus den Lungen und wandte sich ab. »Kannst du dich an den heißen Sandwind in der ägyptischen Wüste, über den wir uns bei unserer ersten gemeinsamen Reise beschwert haben, erinnern? Wir haben echt gelitten und beim Teilen wurde es komischerweise weniger. Die müssen uns Tücher und viel Wasser bringen, hast du verlangt. Stimmt, es hat geholfen. Den Rest unserer Jahre litt jeder still vor sich hin. Das war unserer nicht würdig, Friedrich.«
    Almut spürte, wie sich Tränen in den Augenwinkeln bilden wollten. Doch sie schluckte sie trotzig hinunter. Ihre Hand suchte zielstrebig das Regal ab und blieb auf Brusthöhe in der Luft hängen. Sie streckte den Zeigefinger aus und tippte einen Buchrücken an. Da war sie. Die wichtigste und liebste Zeile im Brief ihres zukünftigen Lebens. Schwarzer Einband, gelbe krakelige Schrift. Thema: Selbstmord.

    Almut war zu keiner Zeit eine leidenschaftliche Leserin gewesen, doch jetzt las sie sich mit eifriger Konsequenz durch die Seiten. Sie schien regelrecht Satz um Satz aus dem Buch zu saugen. Mit entschlossenem, zusammengepressten Mund.
    Während sie in der Bibliothek saß, die aufgeschlagenen Seiten des Buches auf ihren noch immer schwachen Oberschenkeln, gelangte sie in eine seltsame Wartestellung für einen harten Kampf.
    Erläuterungen drangen wie eisiger Nebel in ihr Hirn. Sie hastete mit den Augen über die Zeilen und schmiedete insgeheim einen boshaften Plan. Wie aus einer klaren Quelle strömte die Erkenntnis in sie, dass es auch diesmal keine halben Sachen geben durfte. Mit einem Schlucken presste sich ihr Kehlkopf jäh an den Stoff ihres Bademantels und sie flüsterte: »Ja, so könnte es gehen«

Achtunddreißig

    Mein erster Gedanke war, heim zu fahren, ins Bett zu kriechen und noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Doch dann rief ich Valerie an. Ich wollte sie fragen, ob wir uns in dem neuen Lokal, gleich um die Ecke bei der Oper, treffen könnten. Da Valerie eine Nachteule war, durfte ich selbst zu dieser Zeit bei ihr anrufen. Doch heute hob sie nicht ab und auch die Mailbox sprang nicht an. Vermutlich war sie früher als sonst ins Bett gegangen (vielleicht sogar mit einem Mann?) oder war irgendwo unterwegs und hatte ihr Handy nicht dabei.
    Ich ging ungern alleine aus, doch heute hatte ich keine Lust, es bei weiteren Freundinnen zu probieren, vermutlich hatte ohnehin keine Zeit. Also parkte ich meinen Wagen – ich fand tatsächlich eine Lücke zwischen unzähligen Autos –, und steuerte allein die Neueröffnung gleich bei der Oper an. Das »Input« war irgendwas zwischen Café, Bistro und Bar und sah einladend aus. Selbst so spät war es noch gut besucht. Als ich in der Tür stand, schlugen mir Lärm und Hitze entgegen. Doch seltsamerweise geriet ich kein bisschen aus dem Takt, als ich allein den Tresen ansteuerte und mich auf einen Barhocker fallen ließ. Ich akklimatisierte mich schnell, froh, unter Menschen zu sein und mich abzulenken.
    Ein Kellner kam auf mich zu und sah mich auffordernd an. »Ein Glas Weißwein«, sagte ich. Er nickte. »Kommt sofort«, versprach er mit professioneller Freundlichkeit. Als das Glas vor mir stand, nahm ich einen großen Schluck und sah mich interessiert um. Das »Input« war vorwiegend von jüngeren Leuten zwischen Zwanzig und Dreißig bevölkert. Im Grunde fiel hier jeder über Vierzig auf. Aber das war mir egal. Es tat gut, unter der Obhut der vielen Menschen zu sitzen und anonym ein Glas Wein zu genießen. Das Schicksal hatte mir diesen Moment zugeteilt und ich war gewillt, ihn voll und ganz auszukosten. Ich hatte mein Glas noch nicht halb geleert, da fiel mir ein Mann, drei Barhocker weiter, auf. Er hatte weiche Gesichtszüge, Geheimratsecken und die Andeutung eines

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