Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Titel: Vom Himmel hoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Branstner
Vom Netzwerk:
hingegen war einstmals Raumkoch gewesen und hatte, obwohl mit seinen hundertundvier Jahren der Jüngste in der Runde, als einziger einen kahlen Schädel. Dafür war er dicker als Wirsing, wenn auch kaum größer als Fontanelli.
    Dieser endlich war von beinahe zwergenhaft kleinem Wuchs, dabei ungemein dünn und mit einem fuchsroten Kinnbart versehen, weshalb er gewiß Rumpelstilzchen geheißen worden wäre, hieße er nicht schlechthin der Automatendoktor, hatte er doch zuletzt eine Klinik für übergeschnappte Roboter geleitet.
    Da er aber gegenwärtig noch immer auf sich warten ließ, fragte Wirsing, indem er seinen Blick von der Tischplatte und damit von der Erde nahm: »Ist heute auch wirklich Donnerstag?«
    Die vier hatten ausgemacht, sich einmal in der Woche, nämlich donnerstagabends, im »Müden Gaul« einzufinden und bei einer guten Flasche ihre Lügengeschichten zu erzählen. Nur fehlte bis zu diesem Augenblick der vierte Mann. Eben da trat Fontanelli mit schnellen Schritten herein und rief: »Ob ihr es glaubt oder nicht, aber es ist die reine Wahrheit!«
    »Siehst du«, sagte Stroganoff zu Wirsing, »genauso fangen Lügengeschichten an.«
    »Aber ich wollte doch gar keine Geschichte erzählen«, entgegnete Fontanelli, »ich wollte nur mein Zuspätkommen erklären. So wahr ich hier stehe, meine Uhr…«
    Doch Stroganoff winkte ab. »Nimm dir ein Beispiel an ihm«, sagte er zu Wirsing. »Wer lügt, muß ständig die Wahrheit beteuern und ein schrecklich ernstes Gesicht dabei machen.«
    »Nach dieser Logik«, rief Wirsing, »müßten wir die Wahrheit wie eine Lüge auftischen und uns dabei halbtot lachen.«
    »Na, es genügt, wenn man dabei ein bißchen grinst«, meinte Kraftschyk.
    Indessen hatte Fontanelli am Tisch Platz genommen und zog seine Uhr hervor, die tatsächlich eine halbe Stunde nachging. Alle grinsten ein bißchen, nur Fontanelli nicht. Nachdem er die Uhr mit beinahe feierlichem Ernst herumgezeigt hatte, steckte er sie wieder fort und rief den Bedienungsautomaten heran. Der Automat, eine Art Nähkasten auf Rädern, surrte herbei und klappte seine Deckel auf, Fontanelli nahm sich eine Flasche Rotwein und ein Glas, das er bis zum Rand füllte.
    »Zum Wohlsein, Herr Doktor!« piepte der Automat.
    »Bist du kaputt?« fragte Fontanelli. »Deine Stimme ist nicht in Ordnung.«
    »Es ist gar nicht meine Stimme«, erklärte der Automat, »meine Stimme ist über Nacht verrostet. Gestern abend ging es bei uns hoch her, und ein betrunkener Gast hat einen Sektkübel umgestoßen. Es hatte mich ganz schön erwischt, ich war pitschnaß. Und jetzt hat man mir die Stimme eines Kinderautomaten eingesetzt.«
    »Nächstens benutzen sie Kniescheiben als Monokel«, sagte Stroganoff, der die seltsamen Vergleiche liebte. »Hier gibt es doch gar keine Kinderautomaten.«
    »Eben«, erklärte der Automat, »deshalb haben wir ja auch genug Ersatzteile für Kinderautomaten auf Lager.«
    »Tststs«, machte Fontanelli.
    »Können Sie mir nicht helfen, Herr Doktor?« fragte der Automat. »Sie waren doch mal ein berühmter Automatenarzt. Ich komme mir richtig albern vor mit dieser Piepstimme.«
    »Ich war Facharzt für hirnkranke Roboter«, sagte Fontanelli mit einem gewissen Stolz in der Stimme, »dein Verstand scheint aber noch ganz in Ordnung zu sein.«
    »Wenn ich noch lange mit dieser Stimme herumlaufe«, piepte der Automat, »kriege ich bestimmt einen Klaps.«
    »Das wäre ein interessanter Fall«, sagte Fontanelli, »einen Roboter, der an seiner Stimme verrückt geworden ist, hatte ich in meiner ganzen Praxis nicht.«
    Der Bedienungsautomat klappte seine Deckel zu und surrte ohne ein, weiteres Wort davon. Fontanelli blickte ihm nachdenklich hinterdrein. »Ich erinnere mich da an eine Geschichte, die mir als blutjungem Arzt passiert ist. Und ob Ihr es glaubt oder nicht…«
    »Nichts da!« rief der Himmelsgärtner. »So fangen Lügengeschichten an, und die erste Lügengeschichte erzähle ich. So hatten wir es ausgemacht.«
    »Aber es ist keine Lügengeschichte«, entgegnete der Automatendoktor.
    »Dann darfst du sie schon gar nicht erzählen«, meinte Kraftschyk, »heute werden nur Lügengeschichten erzählt.«
    »Ich bin ja schon still«, sagte Fontanelli, denn mit dem Schwerenöter wollte er sich nicht anlegen. Der Automatendoktor hatte einen uneingestandenen Respekt vor großen Menschen. »Ich bin ja schon still«, sagte Fontanelli, »ich hatte ganz vergessen, daß wir heute Lügengeschichten erzählen wollten. Wer fängt

Weitere Kostenlose Bücher