Vom Kämpfen und vom Schreiben
mit dem ich seit ein paar Jahren maile, fragt, wie ich das alles schaffe. Er schreibt: »Wieviel Internet kann man ertragen?«
Die Frage beschäftigt mich den ganzen Tag, und dass ich mich ziere, sie ehrlich zu beantworten, macht mich nachdenklich. Wie gefährlich das Internet sein kann, habe ich in meinen »Im Netz der Meister«-Romanen eindringlich beschrieben. Ein falscher Klick, und schon kann ein Verhängnis beginnen. Nein, darauf will ich nicht hinaus. Mein Umgang mit dem Internet: Was kann sein, was muss sein, was ist zu viel?
Mein Tag beginnt um halb sieben mit einer Tasse Kaffee, dem Onlinefeuilleton der »Zeit« und einem Blick in den »Kölner Stadtanzeiger«. Online. Um halb acht kommt der »Spiegel Online«, darin stöbere ich auch. Ich schaue einmal am Tag bei Amazon nach den Verkaufsrängen meiner Bücher, twittere zwei Mal am Tag und blogge fast täglich einen Artikel. Den verlinke ich mit Twitter, Facebook und Xing. Das alles dauert etwa eine Stunde. Ich lese ein paar Postings, beantworte meine E-Mails, dann ist der Hund an der Reihe.
Meine Schreibzeit wird vom Internet unterbrochen: Wenn ich mir zum Beispiel in Google Maps Städte und Straßen ansehe — früher musste man da hinfahren! –, im ewigen Kalender Daten suche, wenn ich Musik brauche. Manchmal suche ich etwas bei Ebay, manchmal frag ich online beim Buchhändler meines Vertrauens nach bestimmten Büchern. Ich lese, was die Kollegen so treiben, lästere hier und da, und wenn mir jemand eine Mail schickt, piept mein Handy. Ich schaue, wann der Bus fährt, gucke online, was im Theater und im Kino läuft, bestelle meine Kontaktlinsen im Netz und benutze Onlinebanking.
Wenn ich das aufzähle, wundere ich mich, dass ich inzwischen regelmäßig Schwimmen gehe, immer noch ausreichend schlafe, am Wochenende ausgehe und es auch schon mal krachen lasse, zwei bis drei Bücher in der Woche lese und täglich etwa zehn Seiten an meinem Buch schreibe.
Aber irgendwie geht’s. Das Internet gehört zum Arbeitsalltag, ist zu neunzig Prozent Arbeit, zu zehn Prozent Vergnügen. Ungefähr. Aber morgen setze ich vielleicht mal aus.
80.521 Wörter und ein einziger Wunsch
Am 26. August 2010 halte ich wieder ein Baby in den Händen. Es wiegt 2.150 Gramm, ist 433 Seiten lang und hat einen Kopfumfang von zwanzig Kapiteln. Die Schwangerschaft war unendlich lang, und diese Geburt war eine der schwersten. Manchmal kamen die Wehen besonders heftig, die Geburt schien sich anzukündigen, immer wieder, aber es war immer wieder viel zu früh. Grade rechtzeitig konnte eine Sturzgeburt abgewendet werden. Manchmal lag es nicht richtig, dieses Baby, hatte sich gedreht, wollte mit den Füßen zuerst raus, trampelte und boxte in mir, quälte mich, verunsicherte mich, machte mich glücklich.
Ich überlegte mir Namen, träumte von seinem Lebensweg, sah es vor mir, sah seine Zukunft und freute mich darauf. Eine schöne Geburt war es, sie hat mich glücklich gemacht. Heute halte ich es als Ausdruck in den Händen. Zum ersten Mal ist es greifbar, ist es mehr als Worte im Mac, hat es ein Gesicht aus über achtzigtausend Buchstaben auf weißem Papier. Nun warte ich auf die Nachgeburt. Dann muss ich das Neugeborene abnabeln, muss es waschen, von Schleim und Blut befreien, es in weiche Kleider packen und nähren und hegen und pflegen.
Die acht Geschwister sehen es erst, wenn eine Hebamme es dorthin »verlegt«, wo es hingehört, eines Tages. Dann muss ich es aus der Hand geben. Und dann wird es groß und stark sein und vielen Menschen etwas bedeuten. Ich weiß das. 80.521 Wörter und ein einziger Wunsch. Mit der Form der Geschichte ist es nicht getan. Die Geschichte ist nun erzählt. Und deswegen rüste ich mich für den Aufstieg zum nächsten Gipfel.
Denn ich kann schreiben, Geschichten erzählen, ich kann sie auch gut vorlesen. Ich kann mein eigenes Marketing betreiben, Kontakte knüpfen, Lesungen an Land ziehen. Aber ich kann mich selbst nicht anbieten – das habe ich aus meinem Versuch gelernt, den SM-Roman bei einer Agentur unterzubringen.
Den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und die erste Nummer einer Agentur zu wählen, dauert heute vier Stunden. Erst muss ich unbedingt zur Post. Dann meine Mutter anrufen. In der Mittagszeit würde ich sowieso keinen erreichen. Die Küche will aufgeräumt werden, und ich poliere die Blätter der Zimmerpflanzen, höchste Zeit. Der Hund muss raus. Mit leerem Magen kann man nicht telefonieren, also muss ich erst was essen. Endlich aber
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