Vom Kämpfen und vom Schreiben
zu mir. Wir werden direkt nach der Show für einen gemeinsamen Auftritt auf einem Rheinschiff engagiert.
Von Hügelin Berger werde ich nie wieder etwas hören.
Wie viel Internet kann man ertragen?
»Jesses Maria« ist auf den Weg gebracht, und mein Arbeitstag wird wieder vom Guerillamarketing bestimmt.
Aber ich will nicht nur Lesungen, ich will schreiben.
Ich nehme mir den Roman, den ganz alten, den ersten, den mit Rena und Mike, wieder vor und lese ihn noch einmal. Und weiß einfach nicht, was ich damit machen soll.
Dann lese ich zufällig das Buch von Sol Stein »Über das Schreiben« und danach »Wort für Wort« von Elizabeth George. Und meine Erkenntnis ist ebenso klar wie bitter: Ich war zu arrogant. Und ich war viel zu schnell. Der Stoff ist gut, immer noch, ja. Aber ich habe ihn wieder nicht richtig umgesetzt. Im Mai 2010 setze ich mich hin und beginne zum dritten Mal in fünfzehn Jahren, dieses Buch zu schreiben.
Ich entwerfe zuerst einen neuen Beginn für das Exposé: »›Sie brauchen Frischfleisch, zack zack! Wollen Sie reich oder heilig werden? Los: anhauen, umhauen, abhauen‹, ruft Adam Steinert seinen nebenberuflichen Führungskräften zu. Die Maler, Dachdecker und Elektriker schwärmen aus. Sie suchen Mitarbeiter und Kunden: Leute, die Lebensversicherungen kaufen und verkaufen. Jeder kommt infrage, jeder eignet sich. Mit Frischfleisch schreibt man Umsatz, nur durch Umsatz wird man reich.«
So weit finde ich das gut. Danach aber fällt mir nichts mehr ein. Tagelang brüte ich über den ersten Sätzen, lese zwanzig Seiten, schreibe mitten im Text etwas um, ändere Namen – und erkenne am nächsten Tag meine eigenen Figuren nicht mehr. Auch den Titel ändere ich: Aus »Das Memorandum« wird nun »Rattenfang«.
Dann ist Schluss. Ich kann es offenbar nicht. Ich heule eine Nacht lang und zweifle an allem, was ich den letzten Jahren versucht habe – und an allem, was ich in den letzten Jahren geschafft habe. Aber ein paar Erfolge sind doch da. Ich muss doch etwas aus allem gelernt haben, aus dem, was geklappt hat, und aus den Misserfolgen. Das kann nicht umsonst gewesen sein. Am nächsten Morgen beschließe ich, es noch einmal zu versuchen. Ein letztes Mal.
Mit Verstand muss ich an die Arbeit gehen, nicht mit Emotionen. Ich schreibe die erste Szene neu. Überarbeite sie vier Tage lang. Dann ist sie rund. Ich schreibe die zweite Szene. Überarbeite sie zwei Tage lang, entdecke – jetzt schon! – Logikfehler, weil ich mich zu sehr auf den alten Text gestützt habe und die Änderungen nicht mehr passen. Und nun? Ich weiß wieder nicht, wie ich weitermachen soll. Ein Kapitelplan muss her. Kapitel, für die ich kurze Inhaltsangaben schreibe, an die ich mich halten kann, wenn ich die Szenen entwerfe. Wort für Wort.
Mitte Juni. Wie ein tiefer Graben liegt ein Tag vor mir: der fünfzigste Geburtstag. Meine Söhne kommen, um elf Uhr nachts gehen wir zum Rheinauhafen, Martin, die Jungs, der Hund und ich. Sternenfunkeln, Lichter im Wasser, Ruhe, Romantik. Das habe ich mir gewünscht. Eine Flasche Champagner trinken wir vor zwölf, die andere danach. Und dann spazieren wir zu Fuß nach Hause, durchs nächtlich stille Köln.
Jede Geburtstagsfeier würde ich in meiner Erinnerung später irgendwo unter »Party« oder »Gelage« ablegen, aber diesen Abend werde ich nie vergessen. Am Tag dann die große Überraschung: Meine Mutter, meine Schwester und mein Schwager stehen in der Tür. Dreihundert Kilometer hin, dreihundert Kilometer zurück, um mir zu gratulieren. Wunderbar. Danke. Dann ist dieser Tag Geschichte, und es ist nichts passiert. Ich habe keinen Heulkrampf bekommen und keinen Moralischen und keine einzige Falte mehr als letzte Woche. Auch der Tag danach: kein Problem.
Dennoch ist nicht alles in Ordnung: Meine Hautkrankheit, der widerliche Lichen Ruber, der mich vor zehn Jahren so gequält hat, bricht wieder aus. Von heute auf morgen kommen ein paar Pusteln, und sie verdoppeln sich täglich.
Ich konsultiere insgesamt drei Hautärzte. Jedes Mal sage ich: Ich habe Lichen Ruber. Es ist der zweite Schub in zehn Jahren. Alle drei sehen kurz hin und nicken. Niemand zweifelt meine Diagnose an. Niemand untersucht die Haut mit mehr als einem Blick. Alle drei Ärzte sagen, da könne man nichts machen, es gebe kein Medikament, deshalb solle ich Kortison nehmen. Hallo? Das habe ich vor zehn Jahren schon pfundweise genommen, und es hat nicht geholfen!
Dieses Mal ist es viel schlimmer als beim ersten Schub.
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