Vom Kämpfen und vom Schreiben
Der ganze Körper, sogar das Gesicht, ist befallen. Wenn die Pusteln die Kopfhaut erreichen und mir an den befallenen Stellen dauerhaft die Haare ausgehen, verzweifle ich. Nachts kann ich nicht schlafen, weil ich mich kratze. Ich ziehe im Bett Baumwollhandschuhe an, es hilft nicht. Wenn ich Schuhe und Strümpfe ausziehe, reiße ich die Haut von den Füßen mit ab. Obwohl es draußen heiß ist, kann ich nur mit langen Hosen, langen Ärmeln und hochgeschlossenen Oberteilen herumlaufen. Bei Lesungen falle ich fast in Ohnmacht, so schwitze ich. Ich trage dann Spitzenhandschuhe, um die Pusteln auf den Händen zu verstecken.
Was ist das? Warum bekomme ich diesen Scheiß wieder? Hat das was mit dem runden Geburtstag zu tun? Unterbewusst? Als ich den ersten Schub hatte, war ich kreuzunglücklich, fühlte mich nicht wohl in meiner Haut, da gab es zweifellos seelische Auslöser. Aber jetzt geht es mir gut, ich habe keine Sorgen. Oder doch? Unterbewusst vielleicht? Ich habe keine Wahl und muss abwarten, bis es wieder verschwindet. Laut Internet dauert ein Schub sechs Monate bis zwei Jahre.
Mein großer Sohn empfiehlt mir, ich müsse unbedingt bloggen. Das sei modern und wichtig und ich könne mit meinen Lesern bei Facebook über die Blogeinträge kommunizieren. Außerdem solle ich alles miteinander verbinden: Homepage, Blog, Twitter, Facebook. Sogar bei Amazon gebe es Links zu den Social-Media-Netzwerken, und ich wäre dumm, die neuen Medien nicht zu nutzen. Und wenn ich ein Projektblog machen würde, könne ich über die weiteren Arbeitsschritte bei der neuen Bearbeitung des Rena-Mike-Romans schreiben und damit vielleicht potenzielle Leser an mich binden. Gut.
Ich höre auf ihn und beginne. Es ist ein virtuelles Tagebuch. Ich kann in anschaulichen Statistiken verfolgen, wie viele Besucher welchen Beitrag gelesen haben – und bin wirklich erstaunt, dass es oft so viele sind.
Dennoch überlege ich, wofür das gut sein soll, ob ich so etwas wirklich brauche, ob es jemand wissen will, was hier geschrieben steht. Tagebuch habe ich schon früher geschrieben, aber ich wäre niemals auf die Idee gekommen, es zu veröffentlichen.
Moment. Dies ist ja kein persönliches Tagebuch, sondern ein Projektblog zur Arbeit am Manuskript »Rattenfang«. Ja, aber: Was kann es Persönlicheres geben als den Einblick in meine Arbeit, die mich viele Stunden am Tag beschäftigt?
Ich glaube, das Schreiben eines Blogs hat mehrere Motive. Ich bin eine Rampensau. Wer schreibt, will gelesen werden, jedenfalls ist das bei mir so. Ich brauche Zwischenrufe, Motivation, Ansporn zwischendurch, weil Schreiben ein einsamer Job ist. Ich flüchte vor dem »richtigen« Schreiben. Der Haushalt ist fertig, der Hund ist gelaufen, ich hab meine Mutter angerufen und könnte – müsste! – jetzt eigentlich anfangen zu arbeiten.
Anhand eines Tools kann ich nicht nur sehen, wie viele Leser den Beitrag aufgerufen haben, sondern auch, wie lange sie auf den einzelnen Seiten geblieben sind. Die Zahlen hauen mich um. Nun blogge ich fast jeden Tag, und es erleichtert mir die Arbeit, weil ich mich für »Rattenfang« warmschreiben kann.
Helfen könnten mir, denke ich, auch Testleser. Mancher Autor kann ohne sie arbeiten, ich kann es nicht, zumindest glaube ich das. Also gebe ich einer Freundin die ersten beiden Szenen des neu geschriebenen Manuskripts zu lesen. Sie kennt die zweite Version und ist gespannt, wie sich der Roman in der dritten Version liest – nach dem Perspektivwechsel, mit einem neuen Anfang und ohne hundert Seiten Ballast. Dass es sie verwirrt und irritiert, nun ohne Einleitung in die Handlung katapultiert zu werden, verwirrt und irritiert wiederum mich. Der neue Anfang ist doch perfekt? Nicht? Vielleicht sollte ich Leseproben nur kapitelweise abgeben? Oder bis zum Ende schreiben, ohne es jemandem zu zeigen? Oder hat meine Freundin recht und ich merze Fehler lieber zu Beginn aus, bevor ich mich verzettele? Aber ich finde gar keinen Fehler!
Jetzt jedenfalls gefällt mir der Text so, wie er ist.
Vielleicht ist diese Art zu schreiben aber doch falsch?
Kann sie falsch sein? Ja, sicher. Ich will einen spannenden und unterhaltenden Roman schreiben. Wenn der erste Leser schon verwirrt ist, wo soll das hinführen?
Schluss jetzt. Das sind doch alles nur Vorwände, um nicht am Text zu arbeiten, oder? Kein Autor der Welt kann ein Buch schreiben, das jedem gefällt.
Dennoch tut schlechte Kritik mir weh. Ich würde lügen, wenn ich das bestritte. Ich weiß auch
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