Vom Kriege
Erfahrung, so dürfte sich folgendes Resultat als Anhaltspunkt für Betrachtungen der Art aufstellen lassen.
Eine durch Reiterei verstärkte Division von 10000 bis 12000 Mann, die auf einen Tagemarsch von 3 bis 4 Meilen vorgeschoben ist, wird in einer gewöhnlichen, nicht eben starken Gegend den Feind einschließlich des Rückzuges etwa anderthalbmal so lange Zeit aufhalten können, als der einfache Marsch durch die Rückzugsgegend erfordert hätte; ist aber die Division nur eine Meile weit vorgeschoben, so wird der Aufenthalt des Feindes wohl zwei- bis dreimal solange dauern, wie der einfache Marsch.
Also bei 4 Meilen, deren gewöhnliche Marschdauer auf 10 Stunden anzunehmen ist, wird man etwa auf 15 Stunden rechnen können von dem Augenblick, da der Feind vor der Division mit Macht erscheint, bis zu dem Augenblick, wo er imstande ist, unser Heer selbst anzugreifen. Dagegen wird, wenn die Avantgarde nur eine Meile weit vom Heere steht, die Zeit, welche bis zum möglichen Angriff unseres Heeres verstreicht, länger als 3 bis 4 Stunden und füglich auf das Doppelte anzunehmen sein; denn die Zeit, welche der Gegner braucht, um seine ersten Maßregeln gegen die Avantgarde zu entwickeln, wird dieselbe, die Zeit des Widerstandes dieser Avantgarde in der ursprünglichen Aufstellung sogar größer sein, wie im Fall einer weiter vorgeschobenen Stellung.
Die Folge ist, daß der Feind unter jener ersten Voraussetzung nicht leicht an demselben Tage, wo er unsere Avantgarde vertreibt, den Angriff gegen unser Heer unternehmen kann, und so hat es sich auch meistens in der Erfahrung ergeben. Selbst im zweiten Fall muß der Feind unsere [291] Avantgarde wenigstens in der ersten Hälfte des Tages vertreiben, um noch Zeit zu einer Schlacht zu behalten.
Da bei der ersten unserer Voraussetzungen die Nacht uns zu Hilfe kommt, so sieht man, wieviel Zeit durch eine weiter vorgeschobene Avantgarde gewonnen werden kann.
Was die einem Heer zur Seite aufgestellten Korps betrifft, deren Bestimmung wir früher angegeben haben, so ist ihr Verfahren in den meisten Fällen mehr oder weniger an Umstände geknüpft, die in das Gebiet der näheren Anwendung gehören. Das einfachste Verhältnis ist, sie wie eine dem Heer zur Seite aufgestellte Avantgarde zu betrachten, die, zugleich etwas vorgeschoben, sich in schräger Richtung auf dasselbe zurückzieht.
Da sich diese Korps nicht gerade vor dem Heere befinden und also nicht zu beiden Seiten von demselben so bequem aufgenommen werden können wie eine wirkliche Avantgarde, so würden sie größerer Gefahr ausgesetzt sein, wenn sich nicht die feindliche Stoßkraft auf den äußersten Enden, in der Allgemeinheit der Fälle auch etwas verringerte, und in den schlimmsten Fällen diese Korps Raum zum Ausweichen hätten, ohne das Heer so unmittelbar in Gefahr zu bringen, wie eine fliehende Avantgarde tun würde.
Die Aufnahme vorgeschobener Korps geschieht am liebsten und besten durch eine beträchtliche Reiterei, welches denn Veranlassung wird, die Reserve dieser Waffe, wo die Entfernungen es nötig machen, zwischen dem Heer und dem vorgeschobenen Korps aufzustellen.
Das Endresultat ist also: daß die vorgeschobenen Korps weniger durch eigentliche Kraftanstrengung, als durch ihre bloße Gegenwart, weniger durch Gefechte, die sie wirklich liefern, als durch die Möglichkeit derjenigen, die sie liefern könnten, wirksam werden; daß sie die feindliche Bewegung nirgends hemmen, sondern wie ein Pendelgewicht ermäßigen und regeln sollen, damit man imstande sei, sie dem Kalkül zu unterwerfen.
Neuntes Kapitel: Lager
Wir betrachten die drei Zustände des Heeres außer dem Gefecht nur strategisch, d. h. insofern sie einzelne Gefechte darstellen, also: Ort, Zeit und die Menge der Streitkräfte bedingen. Alle Gegenstände, welche sich auf die inneren Anordnungen der Gefechte und auf den Übergang in den Zustand des Gefechtes beziehen, gehören in die Taktik.
[292] Die Aufstellung in Lagern, worunter wir jede Aufstellung außer Quartieren verstehen, sei es unter Zelten, in Hütten oder im freien Felde, ist mit dem dadurch bedingten Gefechte strategisch völlig identisch. Taktisch ist sie es nicht immer, denn man kann aus mancherlei Gründen den Lagerplatz etwas verschieden wählen von dem ausersehenen Schlachtfelde. Nachdem wir nun über die Aufstellung des Heeres, d. h. über den Ort, welchen die einzelnen Teile einnehmen werden, bereits das Erforderliche gesagt haben, geben uns die Lager nur noch zu einer
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