Vom Kriege
niemals recht weiß, wie nahe eine Unterstützung von dem Heere selbst sich findet, und also seine abgeschickten Kolonnen selbst zwischen zwei Feuer bringen könnte. Die Folge ist, daß der Vorrückende mit seinen einzelnen Kolonnen immer ziemlich in gleicher Höhe bleibt und erst dann, wenn er die Lage seines Gegners genau erforscht hat, anfängt, mit Vorsicht und Behutsamkeit den einen oder andern Flügel zu umgehen. Dieses Herumtasten und diese Behutsamkeit machen es dann dem vorgeschobenen Korps möglich, sich vor dem Eintritt einer wirklichen Gefahr abzuziehen.
[289] Wie lange übrigens der wirkliche Widerstand eines solchen Korps gegen den Frontalangriff und gegen den Anfang einer Umgehung dauern darf, hängt vorzüglich von der Natur der Gegend und der Nähe seiner Unterstützung ab. Wird dieser Widerstand über sein natürliches Maß ausgedehnt, entweder aus Unverstand oder aus Aufopferung, weil das Heer Zeit braucht, so wird ein beträchtlicher Verlust immer die Folge davon sein.
In den seltensten Fällen, nämlich nur, wenn ein beträchtlicher Bodenabschnitt dazu Gelegenheit gibt, wird der eigentliche Gefechtswiderstand von Bedeutung sein dürfen, und die Dauer der kleinen Schlacht, welche ein solches Korps liefern könnte, würde, an sich betrachtet, schwerlich ein hinreichender Zeitgewinn sein; dieser muß vielmehr in der dreifachen Weise gesucht werden, welche in der Natur der Sache liegt, nämlich:
1. durch das behutsamere und folglich langsamere Vorschreiten des Gegners,
2. durch die Dauer des wirklichen Widerstandes,
3. durch den Rückzug selbst.
Dieser Rückzug muß so langsam gemacht werden, als die Sicherheit gestattet. Wo die Gegend zu neuen Aufstellungen Gelegenheit darbietet, muß sie benutzt werden, was den Feind zwingt, neue Anstalten zum Angriff und zur Umgehung zu treffen, und also neuen Zeitgewinn verschafft. Selbst ein wirkliches Gefecht kann vielleicht in der neuen Stellung angenommen werden.
Man sieht, daß der Gefechtswiderstand und der Rückmarsch innig miteinander verschmolzen sind, und daß, was den Gefechten an Dauer abgeht, durch ihre Vervielfältigung gewonnen werden muß.
Dies ist die Widerstandsart eines vorgeschobenen Korps. Das Resultat derselben richtet sich vor allen Dingen nach der Stärke des Korps und der Natur der Gegend, nächstdem nach der Länge des Weges, welchen es zurückzulegen hat, und der Unterstützung und Aufnahme, die es findet.
Ein kleiner Haufe kann, auch bei gleichem Machtverhältnis, nicht so lange widerstehen wie ein beträchtliches Korps; denn je größer die Massen werden, um so mehr Zeit brauchen sie zur Vollbringung ihrer Tätigkeit, welcher Art diese auch sein mag. In einer Gebirgsgegend ist schon der bloße Marsch viel langsamer, der Widerstand in den einzelnen Aufstellungen länger und gefahrloser, und die Gelegenheit zu solchen Aufstellungen auf jedem Schritt vorhanden.
Die Weite, auf welcher ein Korps vorgeschoben worden ist, vermehrt die Länge seines Rückzuges und also den absoluten Zeitgewinn seines Widerstandes; aber da ein solches Korps seiner Lage nach noch weniger widerstandsfähig und unterstützt ist, so wird es den Weg verhältnismäßig in kürzerer Zeit zurücklegen als einen kürzeren, wenn es dem Heere näher gestanden hätte.
[290] Die Aufnahme und Unterstützung, welche ein Korps findet, muß natürlich Einfluß auf die Dauer seines Widerstandes haben, da das, was man dem Rückzug an Vorsicht und Behutsamkeit schuldig ist, immer von dem Widerstande genommen und diesem also entzogen werden muß.
Einen merklichen Unterschied in der Zeit, welche durch den Widerstand der vorgeschobenen Korps gewonnen wird, macht es, wenn der Feind erst in der letzten Hälfte des Tages vor ihnen erscheint; in diesem Fall wird gewöhnlich, weil die Nacht selten zum weiteren Vorschreiten benutzt wird, die Dauer derselben an Zeit mehr gewonnen. So geschah es, daß im Jahr 1815 das erste preußische Korps unter General Zieten von etwa 30000 Mann Bonaparte mit 120000 Mann gegen sich haben und auf dem kurzen Weg von Charleroi bis Ligny, der noch nicht 2 Meilen beträgt, dem preußischen Heer über 24 Stunden Zeit zu seiner Versammlung verschaffen konnte. General Zieten wurde nämlich den 15. Juni vormittags um etwa 9 Uhr angegriffen, und die Schlacht von Ligny fing den 16. etwa um 2 Uhr mittags an. Freilich hatte General Zieten einen sehr beträchtlichen Verlust, nämlich 5000 bis 6000 Mann an Tote, Verwundete und Gefangene.
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