Vom Kriege
Verteidiger und der fehlenden Einheit im Befehl suchen, und doch ist nichts ausgemachter, als daß das Gelingen des Feldzuges, d. h. das Vordringen durch die letzte Überschwemmungslinie bis vor die Mauern von Amsterdam, auf einer so feinen Spitze ruhte, daß man unmöglich daraus eine Folgerung ziehen kann. Diese Spitze war das unbewachte Haarlemer Meer. Vermittelst desselben umging der Herzog die Verteidigungslinie und kam dem Posten von Amselvoen in den Rücken. Hätten die Holländer auf diesem Meer ein paar Schiffe gehabt, so wäre der Herzog niemals bis vor Amsterdam gekommen; denn er war au bout de son Latin. Welchen Einfluß dies auf den Friedensschluß gehabt hätte, geht uns hier nichts an, aber es ist dadurch ausgemacht, daß von einem Überwältigen der letzten Überschwemmungslinie nicht weiter die Rede sein konnte.
Der Winter ist freilich der natürliche Feind dieses Verteidigungsmittels, wie die Franzosen 1794 und 1795 gezeigt haben, aber es gehört ein strenger Winter dazu.
[543] Wälder von geringer Zugänglichkeit haben wir gleichfalls zu den Mitteln gezählt, welche der Verteidigung einen kräftigen Beistand darbieten. Sind sie von geringer Tiefe, so kann der Angreifende auf ein paar nahe beieinander liegenden Wegen durchdringen und die bessere Gegend erreichen, denn die taktische Stärke der einzelnen Punkte wird nicht groß sein, weil ein Wald niemals so absolut undurchdringlich gedacht werden kann wie ein Fluß oder Morast. - Aber wenn, wie in Rußland und Polen, ein bedeutender Landstrich fast überall mit Wald bedeckt ist und die Kraft des Angreifenden ihn nicht darüber hinausführen kann, so wird allerdings seine Lage eine sehr beschwerliche sein. Man bedenke nur, mit wievielen Schwierigkeiten der Verpflegung er zu kämpfen hat, und wie wenig er imstande ist, im Dunkel der Wälder den überall gegenwärtigen Gegner seine Überlegenheit in der Zahl fühlen zu lassen. Gewiß gehört dies zu den schlimmsten Lagen, in die sich der Angriff begeben kann.
Fünfzehntes Kapitel: Angriff eines Kriegstheaters mit Entscheidung
Die meisten Gegenstände sind schon im sechsten Buche berührt und geben für den Angriff durch den bloßen Reflex, das gehörige Licht.
Der Begriff eines geschlossenen Kriegstheaters hat ohnehin eine nähere Beziehung zur Verteidigung als zum Angriff. Manche Hauptpunkte, Gegenstand des Angriffs, Wirkungssphäre des Sieges, sind in diesem Buche schon abgehandelt, und das Durchgreifendste und Wesentlichste über die Natur des Angriffs wird sich beim Kriegsplan erst darstellen lassen; doch bleibt uns hier noch manches zu sagen und wir wollen wieder mit dem Feldzug den Anfang machen, in welchem die Absicht einer großen Entscheidung vorhanden ist.
1. Das nächste Ziel des Angriffs ist ein Sieg. Alle Vorteile, welche der Verteidiger in der Natur seiner Lage findet, kann der Angreifende nur durch Überlegenheit gutmachen, und allenfalls durch den mäßigen Vorzug, welchen das Gefühl, der Angreifende und Vorschreitende zu sein, dem Heere gibt. Meistens wird dies letztere sehr überschätzt, denn es dauert nicht lange und hält gegen reellere Schwierigkeiten nicht Stich. Es versteht sich, daß wir hierbei voraussetzen, daß der Verteidiger ebenso fehlerfrei und angemessen verfahre wie der Angreifende. Wir wollen mit dieser Bemerkung die dunklen Ideen von Überfall und Überraschung [544] entfernen, welche man sich beim Angriff gewöhnlich als reichliche Siegesquellen denkt, und die doch ohne besondere individuelle Umstände nicht eintreten. Wie es mit dem eigentlichen strategischen Überfall ist, haben wir schon an einem andern Ort gesagt. - Fehlt also dem Angriff die physische Überlegenheit, so muß eine moralische da sein, um die Nachteile der Form aufzuwiegen, und wo auch diese fehlt, ist der Angriff nicht motiviert und wird nicht glücklich sein.
2. So wie Vorsicht der eigentliche Genius der Verteidigung ist, so ist es Kühnheit und Zuversicht beim Angreifenden; nicht daß die entgegengesetzten Eigenschaften beiden fehlen dürften, sondern es stehen die ihnen zur Seite in einer stärkeren Affinität damit. Alle diese Eigenschaften sind ja überhaupt nur nötig, weil das Handeln kein mathematisches Konstruieren ist, sondern eine Tätigkeit in dunklen oder höchstens dämmernden Regionen, wo man sich demjenigen Führer anvertrauen muß, der sich am meisten für unser Ziel eignet. - Je moralisch schwächer sich der Verteidiger zeigt, um so dreister muß der Angreifende
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