Vom Kriege
welchen der Angreifende zu fürchten hat, für einen sehr unwahrscheinlichen halten. Aber darum, weil dieser Fall sehr unwahrscheinlich ist, bleibt es doch natürlich, ihn zu fürchten. Denn im Kriege ist es oft der Fall, daß eine Besorgnis sehr natürlich und doch ziemlich überflüssig ist.
Aber ein anderer Gegenstand, welchen der Angreifende hier zu fürchten hat, ist die vorläufige Gebirgsverteidigung durch eine Avantgarde oder Vorpostenkette. Auch dieses Mittel wird nur in den wenigsten Fällen seinem Interesse zusagen, aber der Angreifende ist nicht wohl imstande, zu unterscheiden, inwiefern dies der Fall sein wird oder nicht, und so fürchtet er das Schlimmste.
Ferner widerspricht unsere Ansicht in diesem Punkt keineswegs der Möglichkeit, daß eine Stellung durch den Gebirgscharakter des Terrains ganz unangreifbar werde; es gibt dergleichen Stellungen, die darum noch nicht im Gebirge liegen, Pirna, Schmottseifen, Meißen, Feldkirch; und gerade weil sie nicht im Gebirge liegen, sind sie tauglicher. Aber man kann sich auch sehr wohl denken, daß solche Stellungen im Gebirge selbst gefunden werden können, wo sich die Verteidiger von den gewöhnlichen Nachteilen der Gebirgsstellungen losmachen können, z. B. auf hohen Plateaus, doch sind sie äußerst selten und wir konnten nur die Mehrzahl im Auge haben.
Wie wenig sich Gebirge zu entscheidenden Verteidigungsschlachten eignen, sehen wir gerade aus der Kriegsgeschichte, denn die großen Feldherren, wenn sie es auf eine solche Schlacht ankommen lassen wollten, haben sich lieber in der Ebene aufgestellt, und es finden sich in der ganzen Kriegsgeschichte keine anderen Beispiele entscheidender Gefechte im Gebirge, als die im Revolutionskrieg, wo offenbar eine falsche Anwendung und Analogie den Gebrauch der Gebirgsstellungen auch da herbeigeführt hat, wo man auf entscheidende Schläge rechnen mußte, 1793 und 1794 in den Vogesen, und 1795, 96 und 97 in Italien. Jedermann hat Melas angeklagt, daß er 1800 die Alpendurchgänge nicht besetzt hatte; aber das sind Kritiken des ersten Einfalls, des bloßen, man möchte sagen kindischen Urteils nach dem Augenschein. Bonaparte an Melas’ Stelle hätte sie ebensowenig besetzt.
[538] Die Anordnung eines Gebirgsangriffs ist größtenteils taktischer Natur, nur glauben wir hier für die ersten Umrisse, also für diejenigen Teile, welche der Strategie zunächst liegen und mit ihr zusammenfallen, folgendes angeben zu müssen:
1. Da man im Gebirge nicht wie in anderen Gegenden von der Straße ausweichen und aus einem zwei oder drei machen kann, wenn das Bedürfnis des Augenblicks es erfordert, die Masse der Truppen zu teilen, sondern meistens in langen Defileen stockt, so muß das Vorgehen überhaupt auf mehreren Straßen oder vielmehr auf einer etwas breiteren Front geschehen.
2. Gegen eine weit ausgedehnte Gebirgsverteidigung wird natürlich der Angriff mit gesammelten Kräften geschehen; an ein Umfassen des Ganzen ist da nicht zu denken, und wenn ein bedeutender Siegeserfolg eintreten soll, so muß er mehr durch das Sprengen der feindlichen Linie und das Abdrängen der Flügelpartien erreicht werden als durch umfassendes Abschneiden. Schnelles unaufhaltsames Vordringen auf der Hauptrückzugsstraße des Feindes ist da das natürliche Bestreben des Angreifenden.
3. Ist aber der Feind in einer weniger gesammelten Aufstellung im Gebirge anzugreifen, so sind die Umgehungen ein sehr wesentlicher Teil des Angriffs, denn die Stöße auf die Front werden auf die größte Stärke des Verteidigers treffen; die Umgehungen aber müssen wieder mehr auf ein wahres Abschneiden als auf einen taktischen Seiten- oder Rückenanfall abzielen, denn selbst im Rücken sind Gebirgsstellungen, wenn es nicht an Kräften fehlt, noch eines großen Widerstandes fähig; und es ist der schnellste Erfolg immer nur von der Besorgnis zu erwarten, die man dem Feinde gibt, daß er seinen Rückzug verliere; und diese Besorgnis entsteht im Gebirge früher und wirkt stärker, weil man sich im schlimmsten Fall nicht so leicht mit dem Degen in der Faust Platz machen kann. Aber eine bloße Demonstration ist hier nicht das genügende Mittel; sie würde den Feind allenfalls aus seiner Stellung herausmanövrieren, aber keinen sonderlichen Erfolg geben, es muß also auf ein wirkliches Abschneiden abgesehen sein.
Zwölftes Kapitel: Angriff von Linienkordons
Wenn in ihrer Verteidigung und in ihrem Angriff eine Hauptentscheidung enthalten sein soll, so gereichen sie
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