Vom Kriege
neuen Standpunkt für das Urteil bekommt, so daß dasselbe Mittel, welches in dem nächsten Standpunkt als vorteilhaft erscheint, von einem höheren aus betrachtet verworfen werden muß.
Das Forschen nach den Ursachen der Erscheinungen und das Prüfen der Mittel nach den Zwecken gehen bei der kritischen Betrachtung eines Aktes immer Hand in Hand, denn das Forschen nach der Ursache bringt erst auf die Dinge, welche es verdienen, ein Gegenstand der Prüfung zu sein.
Dieses Verfolgen des Fadens, hinauf und herunter, ist mit bedeutenden Schwierigkeiten verbunden; denn je weiter von einer Begebenheit die Ursache, welche man aufsucht, entfernt liegt, um so mehr andere Ursachen sind zugleich mit ins Auge zu fassen und für den Anteil, welchen sie an den Begebenheiten gehabt haben mögen, abzufinden und auszuscheiden, weil jede Erscheinung, je höher sie steht, durch um so viel mehr einzelne Kräfte und Umstände bedingt wird. Wenn wir die Ursachen einer verlorenen Schlacht ausgemittelt haben, so haben wir freilich auch einen Teil der Ursachen der Folgen ausgemittelt, welche diese verlorene Schlacht für das Ganze hatte, aber nur einen Teil, denn es werden in das Endresultat nach den Umständen mehr oder weniger Wirkungen anderer Ursachen hineinströmen.
Eben diese Mannigfaltigkeit der Gegenstände entsteht bei der Prüfung der Mittel, je höher man mit dem Standpunkt hinaufrückt; denn je höher die Zwecke liegen, um so größer ist die Zahl der Mittel, welche zu ihrer Erreichung angewendet werden. Der letzte Zweck des Krieges wird von allen Armeen gleichzeitig verfolgt, und es ist also nötig, alles, was von diesem geschehen ist oder geschehen konnte, mit in die Betrachtung zu ziehen.
Man sieht wohl, daß dies zuweilen in ein weites Feld der Betrachtung führen kann, in dem es leicht ist, sich zu verwirren, und in welchem die Schwierigkeit obwaltet, weil eine Menge von Voraussetzungen gemacht werden müssen über diejenigen Dinge, die sich nicht wirklich zugetragen haben, die aber wahrscheinlich waren und deshalb aus der Betrachtung schlechterdings nicht wegbleiben dürfen.
[130] Als Bonaparte im März 1797 mit der italienischen Armee gegen den Erzherzog Karl von dem Tagliamento vordrang, geschah es in der Absicht, diesen Feldherrn zu einer Entscheidung zu zwingen, ehe noch derselbe seine vom Rhein erwarteten Verstärkungen an sich gezogen hatte. Sieht man bloß auf die nächste Entscheidung, so war das Mittel gut gewählt, und der Erfolg hat es bewiesen; denn der Erzherzog war noch so schwach, daß er am Tagliamento nur den Versuch eines Widerstandes machte, und als er seinen Gegner zu stark und entschlossen sah, ihm den Kampfplatz und die Eingänge der Norischen Alpen räumte. Was konnte nun Bonaparte mit diesem glücklichen Erfolg bezwecken? Selbst in das Herz der österreichischen Monarchie vorzudringen, den beiden Rheinarmeen unter Moreau und Hoche das Vordringen zu erleichtern und in nahe Verbindung mit ihnen zu treten. So sah Bonaparte die Sache an, und von diesem Gesichtspunkte aus hatte er recht. Stellt sich nun aber die Kritik auf einen höheren Standpunkt, nämlich auf den des französischen Direktoriums, welches übersehen konnte und mußte, daß der Feldzug am Rhein erst sechs Wochen später eröffnet werden würde: so kann man das Vordringen Bonapartes über die Norischen Alpen nur als ein übertriebenes Wagstück betrachten; denn hatten die Österreicher in Steiermark vom Rhein her beträchtliche Reserven aufgestellt, womit der Erzherzog über die italienische Armee herfallen konnte, so war diese nicht allein zugrunde gerichtet, sondern auch der ganze Feldzug verloren. Diese Betrachtung, die sich Bonapartes in der Gegend von Villach bemächtigte, hat ihn vermocht, zu dem Waffenstillstand von Leoben so bereitwillig die Hand zu bieten.
Stellt sich die Kritik noch eine Stufe höher und weiß sie, daß die Österreicher keine Reserve zwischen der Armee des Erzherzogs Karl und Wien hatten: so war durch das Vordringen der italienischen Armee Wien bedroht.
Gesetzt, Bonaparte hätte diese Entblößung der Hauptstadt und diese entschiedene Überlegenheit, welche ihm auch in Steiermark über den Erzherzog blieb, gekannt, so würde sein Vorauseilen gegen das Herz des österreichischen Staates nicht mehr zwecklos gewesen sein, und der Wert desselben hängt nur von dem Wert ab, den die Österreicher auf die Erhaltung Wiens legten; denn wenn dieser so groß wäre, daß sie lieber die Friedensbedingungen eingehen
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