Vom Kriege
denn man braucht sich nur von der Anmaßung einer Modeansicht loszumachen, um daraufzukommen; aber es ist doch notwendig, daß man darauf komme, um es in die Betracht zu ziehen und mit dem Mittel, welches Bonaparte anwendete, zu vergleichen. Wie das Resultat dieser Vergleichung auch ausfallen möge, die Kritik darf sie nicht versäumen.
Als Bonaparte im Februar 1814 von der Blücherschen Armee, nachdem er sie in den Gefechten von Etoges, Champ-Aubert, Montmirail usw. besiegt hatte, abließ, um sich wieder gegen Schwarzenberg zu wenden, und dessen Korps bei Montereau und Mormant schlug, war jedermann voll Bewunderung, weil Bonaparte gerade in diesem Hin- und Herwerfen [134] seiner Hauptmacht einen glänzenden Gebrauch von dem Fehler machte, welcher in dem getrennten Vorgehen der Verbündeten lag; wenn ihn diese glänzenden Schläge nach allen Seiten hin nicht gerettet haben, so meint man, war es wenigstens nicht seine Schuld. Niemand hat bis jetzt die Frage getan, was der Erfolg gewesen sein würde, wenn er sich nicht von Blücher wieder gegen Schwarzenberg gewendet, sondern seine Stöße ferner gegen Blücher gerichtet und diesen bis an den Rhein verfolgt hätte. Wir halten uns überzeugt, daß ein gänzlicher Umschwung des Feldzuges eingetreten, und die große Armee, statt nach Paris zu gehen, über den Rhein zurückgekehrt wäre. Wir verlangen nicht, daß man diese Überzeugung mit uns teile, aber daß die Kritik diese Alternative mit zur Sprache bringen mußte, wird kein Sachverständiger bezweifeln, sobald sie einmal genannt ist.
Hier lag das zur Vergleichung zu stellende Mittel auch viel näher als im vorigen Fall; gleichwohl ist es versäumt worden, weil man einer einseitigen Richtung blind folgte und keine Unbefangenheit hatte.
Aus der Notwendigkeit, für ein gemißbilligtes Mittel das bessere anzugeben, ist die Art von Kritik entstanden, die fast allein gebraucht wird, nämlich sich mit der bloßen Angabe des vermeintlich besseren Verfahrens zu begnügen und den eigentlichen Beweis schuldig zu bleiben. Die Folge ist, daß nicht jedermann überzeugt wird, daß andere es ebenso machen, und daß dann Streit entsteht, der ohne allen Anhalt für das Räsonnement ist. Die ganze Kriegsliteratur strotzt von diesen Dingen.
Der Beweis, den wir fordern, ist überall nötig, wo der Vorzug des vorgeschlagenen Mittels nicht so evident ist, daß er keinen Zweifel zuläßt, und er besteht darin, daß jedes der beiden Mittel seiner Eigentümlichkeit nach untersucht und mit dem Zweck verglichen werde. Hat man die Sache so auf einfache Wahrheiten zurückgeführt, so muß der Streit endlich aufhören, oder er führt wenigstens zu neuen Resultaten, während bei der andern Art das pro und contra sich immer rein verzehrt.
Wollten wir z. B. uns nicht damit begnügen und in dem von uns zuletzt aufgestellten Fall beweisen, daß das unablässige Verfolgen Blüchers besser gewesen wäre als das Umkehren gegen Schwarzenberg, so würden wir uns auf folgende einfache Wahrheiten stützen.
1. Im allgemeinen ist es vorteilhafter, die Stöße in einer Richtung fortzusetzen, als die Kraft hin- und herzuwerfen, weil dieses Hin- und Herwerfen Zeitverlust mit sich bringt und weil da, wo die moralische Kraft schon durch bedeutende Verluste geschwächt ist, neue Erfolge leichter zu erhalten sind, man also auf diese Weise nicht einen Teil des erhaltenen Übergewichts unbenutzt läßt.
2. Weil Blücher, obgleich schwächer als Schwarzenberg, doch wegen seines Unternehmungsgeistes der Bedeutendere war, daß in ihm also mehr der Schwerpunkt lag, der das Übrige in seiner Richtung mit fortreißt.
[135] 3. Weil die Verluste, die Blücher erlitten hatte, einer Niederlage gleichzuachten und dadurch ein solches Übergewicht Bonapartes über ihn entstanden war, daß der Rückzug bis an den Rhein kaum zweifelhaft sein konnte, weil sich auf dieser Linie keine namhaften Verstärkungen befanden.
4. Weil kein anderer möglicher Erfolg sich so furchtbar ausgenommen, sich der Phantasie in einer solchen Riesengestalt gezeigt haben würde, dies aber bei einem unentschlossenen, zaghaften Armeekommando, wie das Schwarzenbergsche notorisch war, als eine große Hauptsache, angesehen werden mußte. Was der Kronprinz von Württemberg bei Montereau, der Graf Wittgenstein bei Mormant eingebüßt, das mußte der Fürst Schwarzenberg ziemlich genau kennen; was hingegen Blücher auf seiner ganz abgesonderten und getrennten Linie von der Marne bis an den Rhein für
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