Vom Kriege
Unglücksfälle erlebt hätte, würde ihm nur durch die Schneelawine des Gerüchts zugekommen sein. Die verzweiflungsvolle Richtung, welche Bonaparte Ende März auf Vitry nahm, um zu versuchen, was eine angedrohte strategische Umgehung für eine Wirkung auf die Verbündeten hervorbringen würde, war offenbar auf das Prinzip des Schreckens gegründet, aber unter ganz anderen Umständen, nachdem er bei Laon und Arcis gescheitert war, und Blücher sich mit 100000 Mann bei Schwarzenberg befand.
Es wird freilich Leute geben, die durch diese Gründe nicht überzeugt werden, aber sie werden uns wenigstens nicht erwidern können: »Indem Bonaparte durch sein Nachdringen gegen den Rhein die Basis Schwarzenbergs bedrohte, bedrohte Schwarzenberg Paris, also die Basis Bonapartes«; weil wir durch unsere Gründe oben beweisen wollten, daß Schwarzenberg nicht daran gedacht haben würde, auf Paris zu marschieren.
In dem von uns berührten Beispiel aus dem Feldzug von 1796 würden wir sagen: Bonaparte sah den Weg, welchen er einschlug, als den sichersten an, die Österreicher zu schlagen; wäre er das auch gewesen, so war doch der Zweck, welcher dadurch erreicht wurde, ein leerer Waffenruhm, der auf den Fall von Mantua kaum einen merklichen Einfluß haben konnte. Der Weg, welchen wir einschlagen wollten, war in unseren Augen viel sicherer, um den Entsatz zu verhindern; aber wenn wir auch in dem Sinn des französischen Feldherrn ihn nicht dafür betrachten, sondern die Sicherheit des Erfolges als geringer ansehen wollten, so würde die Frage darauf zurückgeführt sein, daß in dem einen Falle ein mehr wahrscheinlicher, aber fast unbrauchbarer, also sehr geringer, in dem andern ein nicht ganz wahrscheinlicher, aber viel größerer Erfolg in die Waagschale zu legen war. Stellt man die Sache auf diese Weise, so hätte die Kühnheit sich für die zweite Lösung erklären müssen, was, die Sache oberflächlich betrachtet, gerade umgekehrt war. Bonaparte hatte gewiß nicht die weniger kühne Absicht, [136] und es ist nicht zu bezweifeln, daß er sich die Natur des Falles nicht bis zu dem Grade deutlich gemacht und die Folgen so übersehen hat, wie wir sie aus der Erfahrung kennengelernt haben.
Daß die Kritik sich bei der Betrachtung der Mittel oft auf die Kriegsgeschichte berufen muß, ist natürlich, denn in der Kriegskunst ist die Erfahrung mehr wert als alle philosophische Wahrheit. Aber dieser geschichtliche Beweis hat freilich seine eigenen Bedingungen, deren wir in einem besonderen Kapitel erwähnen werden, und leider sind diese Bedingungen so selten erfüllt, daß die historische Bezugnahme meistens nur dazu beiträgt, die Verwirrung der Begriffe noch größer zu machen.
Jetzt haben wir noch einen wichtigen Gegenstand zu betrachten, nämlich, inwieweit es der Kritik gestattet oder selbst zur Pflicht gemacht ist, bei der Beurteilung eines einzelnen Falles von ihrer besseren Übersicht der Dinge und also auch von dem, was der Erfolg bewiesen hat, Gebrauch zu machen; oder wann und wo sie genötigt ist, von diesen Dingen zu abstrahieren, um sich ganz genau in die Lage des Handelnden zu versetzen.
Wenn die Kritik Lob und Tadel über den Handelnden aussprechen will, so muß sie allerdings suchen, sich genau in seinen Standpunkt zu versetzen, d. h. alles zusammenstellen, was er gewußt, und was sein Handeln motiviert hat, dagegen von allem absehen, was der Handelnde nicht wissen konnte oder nicht wußte, also vor allen Dingen auch vom Erfolg. Allein das ist nur ein Ziel, nach dem man streben, was man aber nie ganz erreichen kann; denn niemals liegt der Stand der Dinge, von welchem eine Begebenheit ausgeht, genau so vor dem Auge der Kritik, wie er vor dem Auge des Handelnden lag. Eine Menge kleiner Umstände, die auf den Entschluß Einfluß haben konnten, sind verlorengegangen, und manches subjektive Motiv ist nie zur Sprache gekommen. Die letzteren lernt man nur aus den Memoiren der Handelnden oder ihnen sehr vertrauter Personen kennen, und in solchen Memoiren werden die Dinge oft in einer sehr breiten Manier behandelt, auch wohl absichtlich nicht aufrichtig erzählt. Es muß also der Kritik immer vieles abgehen, was dem Handelnden gegenwärtig war.
Von der anderen Seite ist es noch schwerer, daß sie von dem absehe, was sie zuviel weiß. Leicht ist dies nur in Beziehung auf alle zufälligen, d. h. in den Verhältnissen selbst nicht begründeten Umstände, die sich eingemischt haben, sehr schwer aber und nie vollkommen zu
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