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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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übrig, durch eine geschickte Verwendung auch da, wo das absolute Übergewicht nicht zu erreichen war, sich ein relatives auf dem entscheidenden Punkt zu verschaffen.
    Als das Wesentlichste hierbei erscheint die Berechnung von Raum und Zeit, und dies hat veranlaßt, daß man in der Strategie diesen Gegenstand als einen den ganzen Gebrauch der Streitkräfte ziemlich umfassenden betrachtet hat. Ja, man ist so weit gegangen, in der Strategie und Taktik großen Feldherren ein eigens dafür geschaffenes inneres Organ beizulegen.
    Aber diese Vergleichung von Raum und Zeit, wenn sie auch überall zum Grunde liegt und gewissermaßen das tägliche Brot der Strategie ist, ist doch weder das Schwierigste noch das Entscheidende.
    [173] Wenn wir die Kriegsgeschichte mit unbefangenem Blick durchlaufen, so werden wir finden, daß die Fälle, wo wirklich die Fehler in solcher Rechnung die Ursache bedeutender Verluste geworden wären, wenigstens in der Strategie höchst selten sind. Soll aber der Begriff einer geschickten Kombination von Raum und Zeit alle die Fälle repräsentieren, wo ein entschlossener und tätiger Feldherr durch schnelle Märsche mit ein und demselben Heere mehrere seiner Gegner schlug (Friedrich der Große, Bonaparte), so verwirren wir uns unnützerweise in eine konventionelle Sprache. Für die Klarheit und Fruchtbarkeit der Vorstellungen ist es nötig, die Dinge immer bei ihrem rechten Namen zu nennen.
    Die richtige Beurteilung ihrer Gegner (Daun, Schwarzenberg), das Wagnis, ihnen eine Zeitlang nur geringe Streitkräfte gegenüberstehen zu lassen, die Energie verstärkter Märsche, die Dreistigkeit schneller Anfälle, die erhöhte Tätigkeit, welche große Seelen im Augenblick der Gefahr gewinnen: das sind die Gründe solcher Siege, - und was haben diese mit der Fähigkeit zu tun, zwei so einfache Dinge, wie Raum und Zeit sind, richtig zu vergleichen!
    Aber selbst jenes rikoschettierende Spiel der Kräfte, wo die Siege von Roßbach und Montmirail den Schwung geben zu den Siegen von Leuthen und Montereau, und welchen die großen Feldherren in der Verteidigung öfter vertraut haben, ist doch, wenn wir klar und genau sein wollen, nur ein seltenes Vorkommen in der Geschichte.
    Viel häufiger hat die relative Überlegenheit, d. h. die geschickte Führung überlegener Streitkräfte auf den entscheidenden Punkt, ihren Grund in der richtigen Würdigung dieser Punkte und der treffenden Richtung, welche die Kräfte von Hause aus dadurch erhalten, in der Entschlossenheit, welche erforderlich ist, um das Unwichtige zum Besten des Wichtigen fallen zu lassen, d. h. seine Kräfte in einem überwiegenden Maße vereinigt zu halten. Darin sind namentlich Friedrich der Große und Bonaparte charakteristisch.
    Hiermit glauben wir der Überlegenheit in der Zahl die Wichtigkeit wiedergegeben zu haben, die ihr zukommt; sie soll als die Grundidee betrachtet, überall zuerst und nach Möglichkeit gesucht werden.
    Sie darum für eine notwendige Bedingung des Sieges zu halten, würde ein völliges Mißverstehen unserer Entwicklung sein; vielmehr liegt in dem Resultat derselben nichts als der Wert, welchen man auf die Stärke der Streitkraft im Gefecht legen soll. Wird diese Stärke so groß als möglich gemacht, so ist dem Grundsatz genug geschehen, und nur der Blick auf die Gesamtheit der Verhältnisse entscheidet, ob das Gefecht wegen fehlender Streitkräfte vermieden werden darf oder nicht.
Neuntes Kapitel: Die Überraschung
    Schon aus dem Gegenstande des vorigen Kapitels, dem allgemeinen Streben nach relativer Überlegenheit, ergibt sich ein anderes Streben, welches folglich ebenso allgemein sein muß: es ist die Überraschung des Feindes. Sie liegt mehr oder weniger allen Unternehmungen zugrunde, denn ohne sie ist die Überlegenheit auf dem entscheidenden Punkte eigentlich nicht denkbar.
    Die Überraschung wird also das Mittel zur Überlegenheit, aber sie ist außerdem auch als ein selbständiges Prinzip anzusehen, nämlich durch ihre geistige Wirkung. Wo sie in einem hohen Grade gelingt, sind Verwirrung, gebrochener Mut bei dem Gegner die Folgen, und wie diese den Erfolg multiplizieren, davon gibt es große und kleine Beispiele genug. Es ist also hier nicht vom eigentlichen Überfall die Rede, welcher bei dem Angriff hingehört, sondern von dem Bestreben, mit seinen Maßregeln überhaupt, besonders aber mit der Verteilung der Kräfte den Gegner zu überraschen, welches ebensogut bei der Verteidigung gedacht werden kann und in der

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