Vom Mondlicht berührt
hatte einen so tiefen Blauton, dass es fast lila wirkte. Und das dicke Fensterglas wirkte wie kostbarer Stein. Das alles hatte den Effekt, dass ich mich wie eine winzige goldene Figur in einem Fabergé-Ei fühlte, als wäre die ganze Welt um mich herum mit Juwelen besetzt.
Ich atmete einmal tief durch, um meinen Herzschlag zu beruhigen, und hakte mich bei Vincent unter. »Wie um alles in der Welt kann man diese Kapelle für eine Hochzeit mieten?«, flüsterte ich auf dem Weg zu einer kleinen Menschenmenge, die in der Nähe des Altars versammelt war.
»Beziehungen«, flüsterte Vincent mit verschlagenem Grinsen zurück. Ich schüttelte überwältigt den Kopf.
Da es keine Stühle gab, mussten die dreißig bis vierzig Revenants stehen – ein paar von ihnen kannte ich bereits von der Silvesterfeier. Wir steuerten auf Jules und Ambrose zu, die ihre Unterhaltung mit Jean-Baptiste und Violette kurzzeitig unterbrachen, um mein Erscheinungsbild zu kommentieren.
»Wow, Katie-Lou. Du hast dich ja herausgeputzt. Man erkennt dich fast gar nicht wieder, so ohne Jeans und Chucks«, sagte Ambrose und umarmte mich. Jules zuckte mit den Schultern und sagte gleichgültig: »Nicht schlecht.« Doch dann hob er die Augenbrauen und rieb sich übertrieben das Kinn.
»Wo ist Gaspard?«, fragte ich.
»Der ruht«, antwortete Vincent. »Arthur ist heute Nacht aufgewacht, ist aber noch ans Bett gefesselt.«
Ich nickte und richtete meine Aufmerksamkeit auf den Priester, der seine ersten Worte an die Versammelten gerichtet hatte. »Liebe Anwesende«, setzte er an, »wir haben uns heute hier versammelt, um die Verbindung unseres Bruders Georges mit unserer Schwester Chantal zu feiern.«
Mit erhobener Augenbraue wandte ich mich an Vincent. »Ist er ...?« Er nickte, der Priester war einer von ihnen.
Vincent schob mich vor sich, damit ich besser sehen konnte, und legte seine Hände in Hüfthöhe auf mein knielanges pflaumenfarbiges Kleid.
Die Braut sah atemberaubend aus. Sie trug ein vollendetes, traditionelles Hochzeitskleid mit allem, was dazugehört: Schleier, lange Schleppe und meterweise cremefarbigem Satin. Alles an ihr schrie nach zwanzigstem Jahrhundert, wohingegen der Bräutigam wirkte, als stamme er aus einer Zeit, die viel länger zurücklag. Er war wie einer der drei Musketiere gekleidet, inklusive gerafftem Kragen, Samtweste und einer Hose, die knapp unterhalb der Knie endete, wo seine hohen Stiefel ansetzten. Aber er sah damit nicht albern, sondern richtig schick aus. Trotzdem fragte ich mich, ob er in diesem Aufzug hergekommen war.
»Was will denn d’Artagnan hier?«, flüsterte ich an Vincent gerichtet.
»Das ist Revenanttradition. Zur Hochzeit trägt man gewöhnlich die Kleidung der Epoche, in der man geboren wurde.«
Ich lächelte, weil ich jederzeit damit rechnete, dass d’Artagnans Freunde sich an Seilen durch die Fenster der Kapelle schwingen würden, auf den Köpfen Hüte mit langen Federn und in den Händen gezückte Schwerter.
Der Priester folgte der gewöhnlichen Hochzeitsliturgie, seine Rede nur gelegentlich unterbrochen von Musikeinlagen eines Streichquartetts. Die Melodie legte sich über den Raum wie symphonischer Nebel und steigerte den überirdischen Effekt dieses Ereignisses noch um ein Vielfaches. Beim Ehegelübde wandten sich Braut und Bräutigam einander zu und versprachen, einander zu lieben und zu ehren, »bis wir nicht mehr existieren«. Ach, dachte ich, das ist ja mal eine interessante Variante.
Meine Gedanken filterten die Bedeutung dessen, was sich hier gerade vor meinen Augen abspielte. Wenn Menschen heirateten, versprachen sie sich schon eine ganze Menge mit ihrem Gelöbnis, mehrere Jahrzehnte zusammenzubleiben. Dieses Paar allerdings erklärte vor den Augen seiner Anverwandten, dass sie bis in alle Ewigkeit zusammenbleiben wollten. Oder zumindest für eine sehr, sehr lange Zeit.
Am Ende der Zeremonie küsste sich das Paar, nahm sich bei der Hand und führte die ganze Hochzeitsgesellschaft die Treppe hinunter und aus der Kapelle. Von dort liefen wir zehn Minuten zum nördlichen Teil der Insel, dem Place Dauphine, einem von Bäumen gesäumten Park mit befestigten Wegen. Dort stand ein großes weißes Zelt, in dem Heizstrahler für eine angenehme Wärme sorgten.
Vincent und ich nahmen unsere Teller mit hinaus und setzten uns auf eine der Bänke, auf die extra für uns Gäste weiche Decken gelegt worden waren. Wir beobachteten die anderen Gäste und aßen schweigend Lendchen und
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