Vom Mondlicht berührt
Rausch, wie ein Stromstoß für uns.« Er beobachtete meine Reaktion.
»Du willst mir damit also sagen, dass ich mit einem Zombiejunkie zusammen bin, der einen Todesdrang hat? Und der mir meine Kraft aussaugt? Hm, na ja« – ich sah ihn so ernst an, wie ich konnte –, »hätte auch schlimmer kommen können.«
Vincent lachte so laut, dass sich mehrere Köpfe in unsere Richtung drehten. Wir standen auf und gingen, bevor wir noch mehr Aufmerksamkeit erregten.
»Arthur ist also bald wiederhergestellt?«, fragte ich, während wir an einem gigantischen Gemälde vorbeigingen, das Napoleons Kaiserkrönung zeigte.
»Ja, dank Georgias Lebensenergie und aus ein paar anderen Gründen« – an dieser Stelle wandte Vincent seinen Blick auf extrem auffällige Weise von mir ab – »hat er keine Schmerzen, sondern ist im Vollbesitz seiner Kräfte.«
Was war das denn?, dachte ich irritiert. Meine Neugierde war geweckt, doch ich musste mich erst mal auf das konzentrieren, was er gerade erklärte.
»Seine Verletzung wird allerdings erst richtig heilen, wenn er ruht. Und weil es eine sehr schwere Verletzung ist, wird er den ganzen ersten Tag nach seiner Ruhephase wohl noch im Bett verbringen müssen.«
»Warum?«
»Je schlimmer man vor der Ruhephase verletzt ist, desto länger dauert die Heilung«, erklärte er schulterzuckend. »Wenn ein abgetrennter Körperteil während der Ruhephase wieder anwachsen muss, brauchen wir mitunter ein oder zwei Extratage nach dem Aufwachen, um uns zu erholen. Ein Körperteil nachwachsen zu lassen, legt uns für Wochen still.«
Ihhhh. Obwohl ich gern alles über Revenants wissen wollte, fielen manche Einzelheiten definitiv in die TMI-Kategorie. So wie diese. Ich versuchte, mir nicht bildlich vorzustellen, was er da gerade gesagt hatte, und dachte stattdessen ganz allgemein über die Folgen nach. Während wir das Museum verließen und auf die Brücke zuliefen, die uns wieder in unser Viertel führen würde, gingen mir tausend Gedanken durch den Kopf.
Die Beziehung zwischen Revenants und Sterblichen war symbiotisch. Die Menschen waren (wenn auch unwissentlich) in ähnlicher Weise auf die Hilfe von Revenants angewiesen wie auf Ärzte oder Ersthelfer: Sie sicherten ihr Überleben. Revenants brauchten die Menschen nicht nur, um weiter existieren zu können, sondern auch, um die emotionalen und körperlichen Schmerzen zu lindern, die ihr Lebenswandel verursachte. Oder vielleicht richtiger: ihr Todeswandel , meldete sich ein morbider Geistesblitz.
Die Menschheit würde auch ohne Revenants weiter bestehen, wenngleich viele Menschen früher sterben müssten. Revenants hingegen würden ohne Menschen aussterben. Ganz zu schweigen davon, dass Revenants ja auch einmal Menschen waren.
Dabei funktionierte die Wechselbeziehung schon seit langer Zeit. Probleme traten erst dann auf, wenn etwas Außergewöhnliches passierte. Wenn sich zum Beispiel ein Revenant und eine Sterbliche ineinander verliebten. Und wieder führten meine Gedanken zu unserer ganz persönlichen Misere. Wenn ich die alte Frau, die offensichtlich guérisseur war, tatsächlich je treffen sollte – vorausgesetzt natürlich, ich hatte das Glück, sie vor Ort abzupassen –, musste ich wissen, was ich sie fragen sollte. Und da Vincent heute in Plauderlaune war, entschied ich, ein wenig tiefer zu bohren.
»Sag mal, kann ein Revenant eigentlich auch ganz normal sterben? Also, gibt es so was wie eine natürliche Todesursache? Ich weiß ja, dass ihr nach jeder Ruhephase sofort essen und trinken müsst, um zu überleben. Aber ich will wissen, ob ein Revenant einfach aufhören kann zu existieren.«
»Streng genommen ist das möglich«, antwortete er. »Doch selbst kurz vor dem Ende kann niemand dem Drang, sich zu opfern, widerstehen.«
»Moment mal, hattest du nicht gesagt, je älter ein Revenant wird, desto weniger leidet er darunter?«, fragte ich verwirrt.
»Ja, bis zu einem gewissen Punkt. Aber wenn er ein Alter erreicht, das der Lebenserwartung eines normalen Sterblichen entspricht, schwingt gewissermaßen das Pendel zurück und das Leiden ist größer denn je.« Ich fing an zu zittern, was Vincent bemerkte. Schnell legte er seinen Arm um mich und zog mich nah an sich heran. So liefen wir weiter.
»Gaspard hat mir mal von einem italienischen Revenant erzählt, den er persönlich kannte. Einem Lorenzo, den Nachnamen habe ich vergessen. Der war schon mehrere Jahrhunderte alt und spürte kaum noch ein Verlangen, sich zu opfern. Irgendwann
Weitere Kostenlose Bücher