Vom Mondlicht berührt
hier?«
»Freut mich auch, dich zu sehen, Kates«, erwiderte Jules, offenbar amüsiert. »Dein Freund hat mich gebeten, heute deinen Leibwächter zu spielen.«
»Er hat was?«, entfuhr es mir.
Jules lehnte sich vor, um meine Wangen zu küssen, aber ich wich ihm aus. »Hey, das ist doch nicht meine Schuld!«, sagte er lachend. »Vincent muss die gefährlichen Aufträge ausführen, während ich die Jungfrau in Nöten beschützen darf.«
»Ich bin so was von nicht in Nöten! Ich hatte einfach etwas vor. Und zwar allein.« Dann erst wurde mir bewusst, was er da gesagt hatte. »Was für ein gefährlicher Auftrag?«, fragte ich und beobachtete seine Mimik ganz genau.
»Ah! Endlich schenkt sie mir ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.« Er schmunzelte. »Wärst du einverstanden, wenn ich dir mehr davon erzähle, sobald wir im Auto sitzen und ich nicht mehr im Halteverbot parke?« Jules deutete auf den BMW, der ein paar Meter entfernt an einer Bushaltestelle stand. Da sich gerade ein Bus näherte und der Fahrer bereits wild mit den Scheinwerfern blinkte, beeilte ich mich also und sprang in den Wagen, bevor uns der Fahrer eine Szene machen konnte.
»Warten w’ir noch auf dein quirliges Schwesterherz?«, fragte Jules, der hinters Steuer glitt und den Wagen startete.
»Nein, die hat noch bis sechs Theater-AG«, antwortete ich geistesabwesend. Meine Gedanken kreisten um das, was Vincent wohl gerade machte.
Ich wartete, bis er losgefahren war, dann sagte ich: »Gut, ich bin im Wagen, also schieß los!«
Und so erzählte Jules, dass die Revenants, die während Genevieves Abwesenheit auf ihr Haus aufpassten, am Morgen Jean-Baptiste kontaktiert hatten, weil bei ihr eingebrochen worden war. Während sie unterwegs gewesen waren, hatte sich jemand Zugang zum Haus verschafft und alle Zimmer auf den Kopf gestellt. Die Tür war gewaltsam geöffnet, das Schloss aufgebrochen worden. Doch es schien nichts zu fehlen. Jean-Baptiste und Vincent wollten sich vor Ort einen eigenen Eindruck verschaffen.
»Und ich bekomme einen Aufpasser, weil ...?«
»Weil es so wirkt, als wären die Numa wieder aktiv. Deshalb macht Vincent sich Sorgen um dich. Und weil JB darauf bestanden hat, dass Vincent ihn zu Genevièves Haus begleitet, habe ich mich bereit erklärt, dich abzuholen«, sagte Jules mit einem selbstgefälligen Grinsen, die Augen weiter auf die Straße gerichtet. »Was hattest du denn vor? Ich fahre dich gerne hin.«
»Nee, das ist eine private Angelegenheit. Das mache ich dann lieber ein andermal«, seufzte ich. Beklommen fragte ich mich, wann ich wohl den nächsten Versuch starten konnte. »Wie wär’s, wenn du mich einfach zu Vincent bringst?«
»Wie wär’s, wenn ich dich in mein Atelier bringe? Das ist wesentlich ungefährlicher. Außerdem brauche ich gerade ein Modell.«
»Du willst ein Porträt von mir malen?«, fragte ich verdutzt.
»Um ehrlich zu sein, konzentriere ich mich gerade auf liegende Akte, ganz im Stile Modiglianis«, antwortete er. Und er gab sich große Mühe, dabei ernst zu bleiben.
»Jules, wenn du allen Ernstes glaubst, dass ich mich vor dir ausziehe ...«, setzte ich an.
Er brach in schallendes Gelächter aus und schlug mit der Hand auf das Steuer. »War doch nur Spaß, Kates. Du bist doch eine Dame. Ich würde dich niemals bitten, deine Unschuld für mich aufs Spiel zu setzen, dafür habe ich ja bezahlte Modelle. Alles billige Flittchen, durch die Bank!«
Nach einem Zusammentreffen mit einer halb nackten Frau in Jules’ Atelier hatte Vincent mir erklärt, dass die Mädchen häufig Studentinnen waren, die damit ihr Studiengeld aufbesserten. So ziemlich das Gegenteil von »billigen Flittchen«. Aber das war Jules’ Methode, mich durch Schuldgefühle zu ködern. Und er hatte Erfolg.
»Also gut, du darfst mich malen«, lenkte ich ein. »Aber unter gar keinen Umständen wird sich ein Kleidungsstück von meinem Körper trennen, solange ich in deinem Atelier bin.«
»Wenn nicht im Atelier, wo denn dann?«, fragte er mit einem anzüglichen Grinsen.
Ich verdrehte die Augen. Einen Moment später passierten wir eine Brücke und der Eiffelturm tauchte vor uns auf.
Als wir sein Atelier betraten, atmete ich einen meiner liebsten Gerüche ein: nasse Ölfarbe. Diesen Geruch kannte ich seit frühester Kindheit, weil er mich immer begrüßte, wenn ich meine Großmutter in ihrem Restaurationsatelier besuchte. Er war für mich unauslöschlich mit Schönheit verknüpft, weshalb meine Augen erwartungsvoll meiner Nase
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