Vom Nehmen Und Genommenwerden
unbewusst eine Entscheidung gefällt: uns nie mehr ganz zu öffnen, um neue Schmerzen zu vermeiden. Die Tragik: Wir schlieÃen uns dadurch selbst von Liebe und Intimität aus. Denn die Wahrheit ist, dass Liebe ohne Schmerz nicht möglich ist. Wer Nähe zulässt und sich öffnet, wird immer Gefahr laufen, verletzt zu werden und Grenzüberschreitungen in Kauf nehmen zu müssen, aber er erlebt auch grenzenlose Freude, überflieÃendes Glück und echte Intimität.
Es mag paradox klingen: Nähe entsteht, wenn wir loslassen von unseren Erwartungen und Vorstellungen, wie der Partner zu sein hat, damit wir ihn lieben können. Loslassen von dem Versuch, den anderen festhalten oder verändern zu wollen. Loslassen von den subtilen Manipulationen, ihn an uns zu binden. Vor allem aber heiÃt es loslassen von der Idee, dass Intimität daraus erwächst, dass wir möglichst viele Gemeinsamkeiten haben. Intimität als Paar entsteht nämlich nur dann, wenn jeder der beiden intim mit sich selbst sein kann, wenn beide tief in ihrem eigenen Sein verwurzelt sind und dadurch das Spiel von Nähe und Distanz möglich wird.
Abschied von falscher Zärtlichkeit
Das gröÃte Hindernis auf dem Weg zu wahrer Intimität ist die romantische Verklärung der Liebe. Indem wir unseren Partner idealisieren, sehen wir ihn nicht so, wie er ist, sondern nur, wie wir ihn gerne hätten. Dabei betrügen wir uns letztendlich nur selbst: Idealisierung ist Selbstbetrug.
Wenn die Fassade der Idealisierung zu bröckeln beginnt, sobald sich die Routine des Alltags einschleicht, das Begehren nachlässt und wir uns fragen, warum wir gerade mit diesem Menschen Tisch und Bett teilen, versuchen wir oft, alle Defizite mit hilfloser Zärtlichkeit zu übertünchen. Viele verlieben sich genau dann in einen anderen Menschen, und das Spiel beginnt wieder von vorne (serielle Monogamie). Doch wie wäre es, wenn wir uns stattdessen der Herausforderung stellten, zu wirklich Liebenden zu werden? Dieser Weg führt uns zu persönlichem Wachstum, auch wenn oder gerade weil wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. Wer sich von einer Beziehung in die nächste stürzt, weicht dieser Aufgabe gerne aus, ebenso wie diejenigen, die die nun manifest werdenden Unstimmigkeiten im Liebesleben ignorieren. Zwar ersparen sie sich einiges an Schmerz, aber sie erleben auch kaum die atemberaubende Intimität, die dieser Weg schenken kann. Hier geht es nicht um richtig oder falsch, jeder wird seine Wahl treffen und sich den daraus ergebenden Herausforderungen stellen müssen.
Welchen Weg wir auch wählen: Die Angst vor dem Verlust der Liebe bleibt uns nie erspart. Um der Angst den Stachel zu nehmen, wird diese gerne mit einer falschen Friedfertigkeit kompensiert. Der französische Philosoph und Soziologe Georges Bataille spricht in »Die Tränen des Eros« von der Diktatur der Zärtlichkeit. Diese Diktatur verbietet strikt alles, was an Hässlichkeit, Eifersucht und Lieblosigkeit eben auch in jeder Beziehung steckt. Doch genau diese verborgene Aggressivität muss ausgedrückt werden, sonst vergiftet sie das Beziehungsklima und führt schlieÃlich zu Ãberreaktionen und wechselseitigen Verletzungen.
Gestehen wir es uns ein: Am Anfang einer Beziehung wird der Partner maÃlos überhöht. Während wir ihn auf ein Podest stellen, versinken alle anderen Mitmenschen in der MittelmäÃigkeit, und oft brechen wir sogar den Kontakt zu ihnen ab. Irgendwann aber kommt der Punkt der Wahrheit, an dem Idealisierung und Ãberschätzung abfallen und wir mit unseren eigenen Schattenaspekten konfrontiert werden. Und zwar mit genau der gleichen Intensität, mit der wir vorher den Partner, uns selbst und die Beziehung verklärt haben. Die eigenen Gefühle von Mangel, Minderwertigkeit und Angst, nicht zu genügen und verlassen zu werden, projizieren wir auf den Partner. Wir klagen ihn schonungslos an, meist ohne zu merken, dass wir im Grunde nur in unser eigenes Spiegelbild blicken. Vielleicht verschlieÃen wir auch die Augen und beschwichtigen unsere Angst mit falscher Zärtlichkeit. Er reagiert auf beide Arten der Aggression entweder mit Rückzug, Sprachlosigkeit oder Angriffsattacken. Vielen Paaren erscheint diese Phase wie ein Weltuntergang. Sie fühlen sich wie gelähmt, und es kann sein, dass die Beziehung auch wirklich zu Ende ist. Doch genau in dieser Phase liegt
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