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Vom Nehmen Und Genommenwerden

Titel: Vom Nehmen Und Genommenwerden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter A. Schroeter , Doris Christinger
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immensen Wut. Es verletzte sie vor allen Dingen, dass ihr Vater ihren Bruder vorzog und nie für sie da war. Wenn sich nun später ein geliebter Mensch jemand anderem zuwandte, und sei es auch nur für einen Augenblick, fühlte sie sich in ihrem ganzen Sein existenziell bedroht.
    Starke Emotionen wie Wut, Scham, Angst, Trauer oder Euphorie gehen immer mit klaren Körperreaktionen wie Erröten, Hitzeempfinden, Erstarren und Verspannungen, Erbleichen oder Herzklopfen einher. Gefühle dagegen werden als ruhige, sanfte Welle des Wohlseins und der Sinnlichkeit empfunden, oder auch als spontanes Gefühl eines Sich-Öffnens und eines warmen Fließens in der Herzgegend.
    Wenn es um Sexualität geht, sind wir alle unweigerlich mit heftigen und verdrängten Emotionen aus der Vergangenheit belastet. Diese treffen nun in einer Liebesbeziehung unweigerlich auf die Verletzungen des Partners. Ein weiteres Beispiel aus unserer Praxis: Die Frau sagt ihrem Partner, dass sein erigierter Penis alleine sie nicht anmache. Dies verletzt ihn zutiefst, weil er davon ausgeht, dass sein Penis sein größtes Geschenk an sie sei. Zusätzlich fühlt er sich von ihr überhaupt nicht verstanden, weil er ja auf ihren Wunsch nach einem langen und sinnlichen Vorspiel stets eingeht. Die Geschichte der Frau zeigt auf, dass sie Übergriffe durch ihren Vater erlebt hat. Während ihrer Pubertät hat er ihr immer wieder an die Brust gegriffen. Obwohl sie diese Thematik bereits in einer früheren Therapie aufgearbeitet hatte, sind immer noch subtile Abwehrmuster wirksam. So genießt sie das Werben ihres Partners, das gemeinsame sinnliche Vorspiel. Den Koitus beschränkt sie dann allerdings auf eine möglichst kurze Zeit. Kaum ist er in sie eingedrungen, bekommt sie einen Orgasmus und zieht sich von ihm zurück. Sein Vorwurf an sie: Er möchte gerne langen, liebevollen und mitreißenden Sex – sie reagiert jedoch mit Rückzug. Das Nein, das sie ihrem Partner gibt, gilt aber im Grunde ihrem Vater. Auf der anderen Seite möchte ihr Partner es ihr immer recht machen, genauso wie er es seiner dominanten Mutter immer recht machen wollte. Diesen Hintergrund zu beleuchten mag im Moment zwar ernüchternd sein, doch es ist die einzige Möglichkeit zur Wandlung von Emotionen in Gefühle. Denn Emotionen müssen erkannt werden, bevor wir sie heilen und transformieren können. Dazu brauchen wir wieder die Fähigkeit zur Differenzierung, damit wir die Verantwortung für unsere eigene Vergangenheit übernehmen. Erst wenn wir den ursprünglichen Schmerz wieder zulassen, kann sich der Teufelskreis auflösen. Wenn wir den Schmerz fühlen, kommen wir in die Gegenwart und können uns auch gegen die Emotionen des Partners abgrenzen. Und das wiederum hilft nicht nur ihm, sondern besänftigt auch das Beziehungswesen. Sie erinnern sich an das wütende, sabotierende, sarkastische oder beleidigte »Zubial«. Erst wenn beide in der Gegenwart angekommen und mit ihren Gefühlen verbunden sind, können sie wahre Intimität zulassen und sich einander schenken.
    Grenzen setzen – Vom Tanz der Gegensätze
    Wenn wir nicht lernen, uns abzugrenzen, laufen wir Gefahr, uns ständig mit Gedanken, Gefühlen und Themen zu beschäftigen, die eigentlich nicht uns gehören. Wo beginne ich und wo höre ich auf? Was ist meine innere Essenz, und wie weit öffne ich mich für die Welt? Das sind die Fragen, die uns auf der Suche nach den Grenzen zwischen mir und dem anderen beschäftigen.
    Als Menschen spüren wir eine tiefe Sehnsucht in uns, die Spaltung in Denken, Fühlen und Empfinden aufzulösen und letztlich sogar die Trennung zwischen uns und der Welt. Wir wollen die Grenzen auflösen, weil wir auf der Suche nach der Einheit sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir grenzenlos sind, Grenzen permanent überschreiten oder nicht setzen können. Denn das hätte Reibung, Streit, Übergriffe und Krieg zur Folge. Erst die Grenze zwischen meiner Welt und der Welt des anderen ermöglicht die gleichwertige Begegnung zwischen zwei Individuen. Inwieweit sich die beiden annähern oder sogar zulassen, dass die individuellen Grenzen überschritten werden, das bestimmen die Situation, die Chemie zwischen den beiden und ihre Bereitschaft, einen gemeinsamen Raum für eine bestimmte Zeit zu teilen. So wird zum Beispiel ein körperlicher Abstand von dreißig

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