Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
angebunden, der mich wie verrückt
anbellt. In Galicien kommt so etwas leider überdurchschnittlich häufig vor.
Kurz darauf bekomme ich allerdings ganz andere Probleme. Aufgrund der
haarsträubenden Wegbeschreibung verirre ich mich zum zweiten .Mal am heutigen Tag
gnadenlos. Plötzlich meine ich eine Stelle zu erkennen, die im Wanderführer
beschrieben ist, nur sind weit und breit weder Pfeile noch Wegweiser zu sehen.
Einige Minuten stehe ich etwas ratlos auf der Straße herum, als aus der Ferne
ein Traktor auf mich zugefahren kommt. Die Gelegenheit nutze ich. Mit einem
beherzten »¡Perdón!« halte ich die junge Bäuerin an. Als ich nach dem
Camino a Muxía frage, erklärt sie mir nicht nur den Weg; sie fährt einfach mit
dem Traktor bis zur Kreuzung vor, an der der nächste Muschelwegweiser steht.
Während ich hinterhertrotte, springt ihr treuer Schäferhund um uns herum.
Unglaublich, aber ich war zeitweise einen halben Kilometer Luftlinie vom
eigentlichen Weg abgekommen. Durch einen verträumten Eukalyptuswald, dessen
Boden über und über mit Farnen bewachsen ist. gelange ich nach Lires. Doch
bevor es ins Dorfzentrum geht, muss ein weiterer Schäfer eingreifen. Ohne ihn
würde ich jetzt einfach geradeaus laufen, doch besagter sonnengegerbter
Galicier deutet auf einen grasbewachsenen Pfad. Das soll der Camino
sein? Sicher ? Okay, gegen einen alten Galicier komme ich vielleicht noch an,
aber an seiner blökenden Herde würde ich eh nicht vorbeikommen. Wie angewiesen
biege ich ab, und tatsächlich erreiche ich wenige Minuten später Lires. Mein
Wanderführer zeigt mir für den Ort ein verlockendes Kaffeetassensymbol an, aber
von einer Bar geschweige denn einem gemütlichen Café ist weit und breit nichts
zu sehen. Stattdessen kommt mir am Ortsende die deutsche Gauditruppe von
Olveiroa entgegen, die mir beim Warten aufs Abendessen so viel Freude, pardon,
»Freunde« bereitet hat.
»Wie isset in Muxía?«, frage
ich sie.
Einer von ihnen antwortet:
»Super schön, echt. Und wie ist es in Finisterre?«
»Auch super«, antworte ich.
»Auf jeden Fall auf den Felsen klettern, der Sonnenuntergang ist der Wahnsinn.«
»In Muxía auch«, bekomme ich
erfreulicherweise zu hören.
»Na dann«, sage ich, »buen
camino , Leute.«
Sie wünschen mir ebenfalls
einen schönen Weg und laufen weiter Richtung Fisterra, auf Spanisch Finisterre.
In Galicien existieren viele Ortsnamen auf Galicisch und auf Spanisch. Dass
hier Ortsnamen häufig ein O, A oder Os/As vorgelagert ist, liegt
daran, dass es dabei um Artikel handelt, beispielsweise bei O Cebreiro. Die
spanischen Pendants lauten El, La und Los/Las. Ein bekanntes
Beispiel ist A Coruña, das besonders unter Fußballfans als »La Coruña« bekannt
ist. Letzteres ist der traditionelle spanische Name, der per Gesetz der
Galicischen Autonomieregierung (Xunta de Galicia) im Jahre 1983 offiziell von der
galicischen Variante abgelöst wurde. Als der Fußballclub Deportivo de La Coruña
1906 gegründet wurde, trug die Stadt eben noch den spanischen Namen. Mein
Wanderführer wählt die Ortsbezeichnungen völlig willkürlich. Auf der
Straßenkarte steht »Finisterre«, auf der Höhenkarte »Fisterra«, im Text mal so,
mal so. Andere Wanderführer sind aber genauso schlampig, lassen die Artikel bei
O Pedrouzo, A Lavacolla oder Os Camiños Chans einfach weg. Las Vegas könnte
damit leben, Los Angeles vielleicht weniger.
Inzwischen schmerzt der
Knöchel, den ich mir gestern Abend angestoßen habe, immer heftiger. Es passt
also zum heutigen, unerwartet beschwerlichen Tag, dass kurz nach Lires die
Socken-aus-und-waten-Passage ansteht. Mitten im Wald liegen mehr als ein
Dutzend Steinquader im Bach, sieben davon unter Wasser. Unter höllisch kaltem
Wasser, um das mal etwas zu präzisieren. Auf der anderen Seite steigen gerade
die beiden Jungs vom Kilometerstein hundert aus dem Wasser. Man trifft die
Leute permanent an Orten wieder, an denen man sie absolut nicht erwartet.
Während die Jungs weiterziehen, muss ich ausziehen, und zwar meine Schuhe und
Socken. Verdammte Axt, ist das Wasser kalt. Dummerweise sind die Steinquader
dermaßen glatt, dass ich nicht mal eben schnell hinüberhuschen kann, sondern
mich extrem langsam und vorsichtig Schritt für Schritt vorantasten muss. Als ob
das nicht schon hinderlich genug wäre, liegt der vorletzte Stein völlig schief
im Wasser. Also steige ich eben knietief in den Bach, was soll der Geiz,
absterben wird mir schon nichts. Aber es fühlt sich so an.
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