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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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hospitalero , ein junger Spanier mit
Lionel-Richie-Haarwuchs (nur etwas kürzer), fragt mich, ob ich den Weg aus
Fisterra zu Fuß zurückgelegt hätte. Ich bejahe. Wo denn mein Stempel aus Lires
sei, fragt er mich. Wie bitte? Stempel aus Lires? In Lires gab es doch
überhaupt nichts, nicht einmal ansatzweise, ein Stempel wäre mir schon noch
aufgefallen. Er betrachtet mich noch einmal genauer und hat ein Einsehen. Ich
sehe dermaßen fertig aus, ich habe heute ganz bestimmt keinen Bus von innen
gesehen. Ohne weiter nachzubohren drückt er mir den Stempel in den Pilgerpass.
Ich atme auf.
    Die Herberge versprüht zwar
null Charme, befindet sich aber in einem Topzustand. Alles wirkt hochmodern,
alles wirkt neu, und das Platzangebot ist mehr als großzügig bemessen. Da ich
heute etwas lädiert bin, hoffe ich beim Anblick der Stockbetten, dass irgendwo
noch ein unteres Bett frei ist. In einer der Ecken des Schlafsaals hat sich
jemand ein oberes Bett reserviert, sein Gepäck aber so dermaßen ausgebreitet,
dass es auf den ersten Blick aus sieht, als sei auch das untere belegt. Ist es
aber nicht. Noch nicht. Jetzt schon. Ich kann zwar kaum noch laufen, aber die
Muxiana muss ich mir natürlich abholen. Also schleppe ich mich zum
Tourismusbüro, wo sich gerade ein japanisches Paar diverse Informationen über
die Gegend einholt. Die sind aber auch überall, diese Japaner: von Manjarín bis
Muxía. Als ich meine vollgestempelten Pilgerpässe vorzeige, überreicht mir der
ältere Herr mit einer lustigen Brille auf der Nase feierlich meine dritte und
letzte Pilgerurkunde. Ich gebe es zu: Ein wenig stolz bin ich schon. An einem
der kostenlos zur Verfügung gestellten Internetrechner schreibe ich Avril, dass
ich vorhabe, den gesamten Samstag in Santiago zu verbringen. Vielleicht haben
wir Glück und sehen uns wieder, schließlich haben wir uns in Hontanas nicht
einmal richtig voneinander verabschiedet.
    Auf dem Rückweg zur Herberge
hinke ich noch kurz in den Supermarkt, um mir Saft der Orange zu kaufen. Ich
habe gerade eine Wahnsinnslust, einen Liter O-Saft in mich hineinzuschütten.
Ist das verwegen? Ich glaube, im Katholizismus schon. Das elfte Gebot: Du sollt
den O-Saft nicht hinunterkippen wie Tony Montana am Ende von »Scarface« die
Gegner umnietet. Die Kassiererin spricht extra Englisch mit mir, und ich
antworte ihr umgehend auf Spanisch. Die Dame hinter mir in der Schlange muss
herzhaft lachen. Muxía ist nicht unbedingt der schönste Ort Galiciens, aber die
Menschen hier gehen ungemein herzlich mit uns Pilgern um. Innerlich beschwingt,
aber äußerlich nicht schneller als eine angeschossene Schildkröte, schleppe ich
mich zur Herberge zurück. Die liegt blöderweise am Ortsrand auf einer Anhöhe;
das passt deinem rechten Fuß heute natürlich überhaupt nicht. Irgendjemand hat »puta
madre « an die Fassade der albergue gesprüht. In Spanien soll es wohl
irgendetwas zwischen »verdammte Scheiße« und »saugeil« bedeuten. Ich denke,
damit lässt sich das Anwendungsgebiet des Ausdrucks grob umreißen. Wie dem auch
sei, ich muss mich unbedingt etwas ausruhen. Gesagt, getan. Ich lege mich in
mein Bett und döse eine Weile vor mich hin. Irgendwann sehe ich, wie der Körper
einer jungen Dame auf mich zukommt.
    Die Stockbetten sind so
niedrig, dass ich ihren Kopf nicht sehe. Der Rest jedenfalls sieht ziemlich... puta
madre aus. So, jetzt weiß niemand, was ich meine, ha. Im nächsten Moment
lerne ich auch noch den passenden Kopf kennen: die Dame beugt sich herunter und
schaut nach, wer sich denn das Bett unter ihr gekrallt hat. Ich schwöre, dass
ich in ihre Augen blicke, ehrlich. Moment mal, die Frau kenne ich doch?
    Auf Englisch frage ich: »Bist
du nicht das Mädchen, das gestern neben uns auf dem Felsen saß — in
Finisterre?«
    Sie strahlt mich an. »Yes, I
remember you!«
    Bingo! Sie ist tatsächlich die
Rothaarige, die erst nach Sonnenuntergang auftauchte und sich von Chris
fotografieren ließ. Sie erkundigt sich gleich nach meinen Gefährten. Ich
erkläre ihr, dass gestern unser letzter gemeinsamer Tag gewesen sei.
    Ich frage sie nach ihrer
Herkunft.
    »I’m from Würzburg in Germany «, antwortet sie. »And you?«
    »Ach, dann können wir ja auf
Deutsch weiterreden.«
    Sie guckt mich an, als hätte
sie sich verhört. Damit hat sie überhaupt nicht gerechnet. Aber dann entwickelt
sich plötzlich ein unerwartet intensives Gespräch zwischen uns. Eine Sache
möchte ich aber noch geklärt haben.
    »Wieso warst du denn

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