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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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schmecken. Neben Philipp
hat sich auch Martin aus Aschaffenburg eingefunden, der den Sonnenuntergang von
Fisterra in wenigen Minuten zum zweiten Mal erleben wird. Vor uns erstreckt
sich der Atlantische Ozean, so gewaltig und unendlich, dass ich mir sehr gut
vorstellen kann, weshalb die Menschen weit vor unserer Zeit diesen als finis
terrae , als Ende der Erde betrachteten. Als die Sonne schließlich
untergeht, wird der gesamte Horizont in rötlich schimmerndes Licht getaucht.
Völlig unmöglich, den Moment auch nur annähernd in würdige Worte zu fassen.
     
    Irgendwann zwischendurch muss
crazy Daisy zu uns gestoßen sein denn sie sitzt neben mir und redet nicht. Hat
Helmut, der zeltende Österreicher, sie doch nicht verputzt. Schön. Nachdem die
Sonne untergegangen und die Touristenschar verschwunden ist, taucht eine junge,
rothaarige Dame neben uns auf, setzt sich auf den Felsen und lässt sich von
Chris fotografieren. Ich frage mich, wieso sie erst nach dem Sonnenuntergang
hergekommen ist. Eine Weile sitzen wir da und blicken auf den rötlich
schimmernden Ozean. Bald findet Daisy ihre Sprache wieder, und ich höre sie
reden. Redet sie mit mir? Ach, ich weiß es nicht. Es ist bereits dunkel, als
wir unsere Sachen einpacken und den Leuchtturm umrunden, hinter dem
traditionsbewusste Pilger ihre Wanderkluft verbrennen. Als ob wir heute nicht
schon genügend Zufälle erlebt haben, entdecken wir unter den jungen Menschen,
die sich um das Feuer versammelt haben, einen alten Bekannten: Helmut, unseren
zeltenden Österreicher! Er und Daisy fallen sich verständlicherweise in die
Arme, und während er ihr in einem Österreichisch-Englisch die Welt erklärt,
werfe ich symbolisch die erste und die letzte Seite meines ziemlich
zerfledderten Wanderführers ins Feuer. Alles andere brauche ich ja noch für
meine allerletzte Etappe, die ich übrigens ganz allein angehen werde. Für
Marcos endet der Camino heute, und Chris, Evelyn und Philipp bleiben einen
weiteren Tag in Fisterra. Glücklich macht mich das nicht, aber wie bereits
erwähnt fällt es mir inzwischen nicht sonderlich schwer, mich von
liebgewonnenen Menschen zu trennen. Zumindest Chris und Marcos werde ich nicht
aus den Augen verlieren, wozu leben wir denn Internetzeitalter? Da hatten es
die Pilger vor siebenhundert Jahren deutlich schwerer. Aber ein Abschiedsbier
muss sein, zumindest mit meinen beiden Pilgergefährten. Zu dritt machen wir uns
auf den Rückweg durch die Dunkelheit. Die kurvenreiche Straße zum Leuchtturm
ist komplett unbeleuchtet; wie optimistisch von den galicischen
Verkehrsplanern. Allerdings entpuppt sich die fehlende Straßenbeleuchtung eher
als Glücksfall. So können wir den atemberaubend klaren Sternenhimmel über uns
in seiner vollen Pracht bestaunen. Dumm nur, dass wir völlig fasziniert nach
oben glotzen und uns permanent versehendlich anrempeln.
    Es ist bereits nach zehn, als
wir im Dorf ankommen. Nun hocke ich mit Marcos, der als Newbie an einer Ampel
in Burgos von Avril angesprochen wurde, und Chris, in Hontanas von Ingo an
unseren Tisch gerufen, gemeinsam auf einer Barterrasse gegenüber unserer
Herberge. Später gesellt sich auch noch Daisy zu uns und redet und redet. Bald
wird es mir ein wenig zu viel und ich schalte ab. Nichts gegen Daisy, aber ich
bin extrem müde, und wenn sie etwas erzählt klingt es, als würde sie sich
einfach wiederholen, egal mit wem sie sich gerade unterhält.
    So schön der Tag auch war, muss
natürlich etwas passieren, damit ich bloß nicht abhebe vor Glück. Und dafür
sorge ich heute höchst selbst. Um so spät noch in die Herberge zu gelangen,
müssen wir sie durch die Hintertür betreten. Dort angelangt, achte ich so
ziemlich auf alles, nur nicht wo ich hintrete, und haue mit Schwung meinen
nackten rechten Knöchel gegen eine fette Betonstufe. Hölle, tut das weh... Wer
jetzt denkt, der unbeschreiblich fiese Schmerz sei dabei das Schlimmste, irrt
sich gewaltig. Viel schlimmer wiegt die Tatsache, dass man nahezu unfall- und
verletzungsfrei siebenhundert Kilometer über Römerstraßen und Gebirgspässe
gewandert ist, um hier und heute gegen eine simple, zwanzig Zentimeter hohe
Betonstufe zu latschen. Mittlerweile liege ich im Bett, die meisten schlafen
schon, und der Knöchel pocht. Was für ein Tag.
     
    Etappe 25: Olveiroa — Fisterra
— Cabo Fisterra (37,9 km)

Donnerstag, 24. September 2009
     
    Der nun definitiv letzte
Wandertag beginnt mit einem echten Highlight: Meine Wanderstöcke sind weg.

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