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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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Bigarny
geschaffenen, aus Nuss- und Buchsbaumholz gefertigten Chor, einhundertdrei
thronartige Sitze aneinandergereiht, umfasst von Szenen aus dem Alten und Neuen
Testament. Über ihnen ragen die Spanischen Trompeten der beiden größten Orgeln
der Kathedrale in den Chorraum. Ein sagenhafter Anblick. Just in diesem Moment
scheint etwas Melanie in helle Aufregung zu versetzen: einer der eisernen
Säulen auf der Frontseite des Chors hat sie eine Engels- oder
Jünglingsdarstellung mit klar erkennbarem Geschlechtsteil entdeckt. »Wurden die
nicht irgendwann mal alle entfernt?«, fragt sie sich. Nein, wurden sie
offensichtlich nicht.
    In einer Kapelle seitlich des
Kreuzgangs entdecken wir schließlich Santiago als Maurentöter, als matamoros. Während der Reconquista, der Rückeroberung der Iberischen Halbinsel von den
Mauren, soll er angeblich in diversen Schlachten den kämpfenden spanischen
Truppen erschienen sein und entscheidend zum erfolgreichen Abschluss
beigetragen haben. Eine herrliche Vorstellung, wie es sich damals angefühlt
haben muss als spanischer Soldat. Da lässt man sich durch eine gnadenlose
Ausbildung jagen, reißt sich jahrelang den Arsch auf, riskiert gegen die
geübten Kämpfer Nordafrikas Kopf und Kragen, vertreibt sie schließlich aus Europa,
hat auf den Schlachtfeldern vielleicht einen Arm und ein Auge verloren, kehrt
gebeutelt in sein Heimatdorf zurück, um dort schließlich von seinen Nachbarn
mitgeteilt zu bekommen: »Super, dass Jakobus der Ältere die Mauren vertrieben
hat. Schon klasse, der Mann.« Um die Verdienste des heiligen Jakobus im Kampf
gegen die islamischen Widersacher zu ehren, verzierten zahlreiche Bildhauer
ihre Altäre mit ihm als reitenden Wahnsinnigen, der mit schwingendem Schwert
ein paar Araber niedermetzelt. Ernsthaft. Immer noch stehen unzählige dieser
Darstellungen in spanischen Kirchen, ohne dass sich jemand drüber aufregt. Da
behaupte mal einer, dänische Karikaturen seien provokant.
     
    Nachdem Melanie und ich uns in
einem Supermarkt mit Brot, Wurst und Wein eingedeckt haben, setzen wir uns in
den Aufenthaltsraum. Obwohl die Anzahl der Anwesenden im Vergleich zum
Nachmittag zugenommen hat, ist der Lärmpegel ohne die brüllende Tante
wesentlich abgesunken. Entspannt basteln wir unsere Brote zusammen, als
Melanies Handy klingelt. Sie verlässt den Raum und kehrt nicht zurück. Ich
verputze mein Brot, saufe den Wein allein und setze mich schließlich an einen
Tisch voller Spanier. Ein einziger von ihnen spricht Englisch, der Rest
ausschließlich Spanisch. Fahrradpilger José ist um die sechzig, rundlich, sein
Haupthaarbestand geht so langsam zur Neige, ein geselliger, freundlicher Kerl,
der gerade aus dem Übersetzen gar nicht mehr herauskommt. Er schenkt mir
irgendetwas Alkoholhaltiges ein, und wir stoßen an. Als ich bald den Tisch verlasse,
um mich in meinen wohlverdienten Schlaf zu verabschieden, entdecke ich das
Polska-Trio an den Internetrechnern hocken. Wahrscheinlich sehen wir uns nie
wieder, was mich plötzlich etwas traurig stimmt. Nachdem ich kurz einen Rechner
zum Absturz gebracht habe schreibt mir Ewa ihre E-Mail-Adresse auf, und wir
verabschieden uns herzlich.
    Und wo wir schon mal beim Thema
sind: Heute könnte der letzte Tag mit Avril und Michelle an meiner Seite
gewesen sein, denn ich habe beschlossen, ab jetzt meine Etappenlängen deutlich
zu erhöhen. Ich fühle mich bereit, meine physischen Grenzen auszuloten, zudem
habe ich heute überdeutlich gemerkt, dass ich in meinem eigenen Rhythmus meine
eigenen Distanzen laufen muss. Wie soll ich sonst jemals die Nussschale
knacken? Anstatt also lediglich achtzehn Kilometer bis nach Hornillos del
Camino zu laufen, peile ich das einunddreißig Komma sechs Kilometer entfernte
Hontanas an. Was mit Melanie ist, kann ich schlecht abschätzen. Ihr Ex Jörg ist
heute in Burgos eingetroffen. Mit ziemlicher Sicherheit reden sie gerade, immer
noch. Melanie erzählte mir, dass sie den Trip gemeinsam geplant, sich aber
einen Tag vor ihrer Abreise nach Spanien getrennt hätten. Jetzt wird mir klar,
wieso sie heute den ganzen Tag über so zickig war. Will ich mir das antun? Ein
deutsches Beziehungsdrama live auf dem Camino? Ich hoffe inständig, dass sie
sich beide raffen.
     
    Etappe 5: Agés — Burgos (24,0
km)

Freitag, 4. September 2009
     
    Auch heute Morgen sind es
wieder die vier deutschen Mädels, die um Punkt sechs Uhr mit ihrem Radau
beginnen. Irgendeine von denen knipst die Stirnlampe an und leuchtet mir

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