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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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Schwimmbad nachzufragen. Nach wenigen Minuten kommt sie wieder
heraus, deutet nach Westen und sagt: »Immer in diese Richtung.«
    Wir stehen auf einer
schnurgeraden Straße, es gibt genau zwei Richtungen, Ost und West, wir kommen
aus östlicher Richtung, und es geht nach Westen? Diese Erkenntnis sollte
gerahmt und mit einem eigenen Feiertag, dem Erkenntnistag, gewürdigt werden. So
langsam nähert sich meine Laune der der beiden Mädels an. Wieso müssen Frauen
immer alles ein wenig komplizierter machen? Wäre ich allein, würde ich einfach
immer geradeaus ins Stadtzentrum hineinlaufen. Aber stehen lassen kann und werde
ich die beiden jetzt nicht. Das ist wie mit Hunden. Man wirft sie nicht einfach
an einer Autobahnraststätte aus dem Auto, nur weil sie einmal die Fernbedienung
zerkaut haben. Was geht da gerade in meinem Kopf ab? Wasser trinken, aber ganz
schnell.
    Avril bereiten ihre Waden
solche Schmerzen, dass sie kaum noch gehen kann. Sie ist den Tränen nahe. »Oh,
es tut so weh! Es tut so weh!« Sie lehnt sich an eine Mauer. »Es tut mir leid«,
sagte sie, »ich brauche nur eine Minute. Es schmerzt.«
    Ich überlege kurz, ihr den
Rucksack abzunehmen, schließt trage ich gerade lächerliche vier Kilogramm auf
dem Rücken. Allerdings bin ich mir sicher, dass die stolze Avril lieber unter
ihrem Rucksack verrecken würde als ihn sich von einem anderen Pilger tragen zu
lassen. Also beschließe ich, geduldig zu sein. Wenn wir langsam laufen, sollte
sie es schaffen.
    Nach ungefähr einer Sekunde
fragt Melanie: »Avril, soll ich dir deinen Rucksack abnehmen?«
    Ja, danke, Fräulein Studentin,
wie stehe ich denn jetzt da?
    Aber Avril bestätigt meine
Vermutung und lehnt resolut ab. »Auf keinen Fall!«, sagt sie. »Geht schon mal
vor, ihr Lieben, ich komme einfach nach. Kein Problem.«
    Wir lehnen ab. Unsere
dreiundsechzigjährige Pilgergefährtin quält sich mit Wadenkrämpfen in der
Mittagshitze, einen sieben Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken. Es
müsste schon etwas exorbitant Heftiges passieren, bevor wir sie zurückließen.
Nach wenigen Minuten geht es zum Glück weiter. Während wir im Schleichtempo in
die einzig mögliche Richtung laufen, hält Avril so gut es geht nach der
Kathedrale Ausschau. Doch wegen der starken Bebauung kann man von hier aus
nicht einmal zwei Häuserblöcke weit sehen. An der nächsten Kreuzung bleibt sie
stehen und möchte eine präzise Wegbeschreibung Richtung Kathedrale. Melanie
erbarmt sich, die nimmermüde Diplomatin, und fragt zwei Passantinnen, die für
uns eine Hammerüberraschung parat haben: Wir sollen weitergehen. In die gleiche
Richtung. Nach Westen.
    Immerhin scheint der Widerstand
endlich gebrochen. An einer breiten Hauptstraße entlang trotten wir wortlos
Richtung City. Da Avril dringend eine Rast benötigt, halten wir nach einer Bar
Ausschau, doch alles was die Stadt vorerst zu bieten hat sind Apotheken und
geschlossene Geschäfte. Erst auf dem menschenleeren Hinterhof eines
Plattenbaukomplexes finden wir eine kleine Bar. Wir setzen uns auf die
markenneutralen Stühle und bestellen uns Bier. Wahnsinn, so ein kühles Bier, es
hilft der Laune wieder auf die Beine. Auch Avril scheint gerade das Gleiche zu
denken.
    Da ich nichts zu Mittag
gegessen habe, pfeife ich mir eben noch, schnell zwei Schinken-Käse-Teigrollen
rein.
    »Das geht auf mich«, verkündet
Avril und deutet auf unsere Getränke und meinen leeren Teller. »Weil ihr mich
begleitet habt.«
    Melanie und ich protestieren,
wohlwissend, dass es überhaupt keinen Sinn macht, Avril zu widersprechen. Also
geben wir auf und nehmen die Einladung an. Dafür laden wir sie eben beizeiten
irgendwo anders ein, sie wird schon sehen, es gibt kein Entrinnen.
    Nach einer guten halben Stunde
machen wir uns auf die letzten Kilometer unserer heutigen Etappe. Als wir beim
El-Cid-Denkmal die Straße überqueren, laufen wir doch glatt Wolfgang in die
Arme. Für ihn endet heute der Camino, er ist gerade auf dem Weg zum Busbahnhof.
    »Ist die Kathedrale hier irgendwo
in der Nähe?«, will Melanie wissen.
    Hätte sie nicht tun sollen.
Denn Wolfgang, nett wie er ist, will uns persönlich zur Herberge führen. Wir
laufen ihm natürlich hinterher, immerhin handelt es sich ja hier um Wolfgang,
einen erwachsenen Mann, der gerade direkt von der Herberge kommt. Doch anstatt
uns problemlos wie wir es von einem edlen Ritter erwarten zur Herberge zu
führen, laufen wir die Altstadt hoch und runter. Mir scheint, der Mann hat
einfach keinen

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