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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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also aus Utrecht oder Maastricht sabbelnd und
brabbelnd bis Santiago de Compostela durchschlagen können.
    Endlich marschieren wir in der
Provinzhauptstadt León dessen Name sich vom lateinischen Wort Legio ableitet. Die Römer waren es, die hier im Jahre 68 nach Christus eine Legion
zur Befriedung der Gegend stationierten. So strikt die Römer ihr Lager in einem
perfekten Rechteck anlegten, so ist dessen Grundriss bis zum heutigen Tage in
Form der Altstadt sichtbar. Marcos beweist mit dem hinkenden Japaner einmal
mehr große Geduld. Ich komme mir vor wie ein alter Mann, der gemeinsam mit
seinem Zivi spazieren geht. Bald erreichen wir die zwar sehr touristische, aber
überwiegend liebevoll gepflegte Altstadt mit der kirchlichen Herberge. Unseren
Stempel erhalten wir von einer deutschen hospitalera.
     
    Wie die letzten Tage herrscht
heute mal wieder ein Wahnsinnswetter, das Thermometer zeigt entspannte
fünfunddreißig Grad Celsius an. Als könnten wir noch etwas Bewegung vertragen,
machen Marcos und ich uns zur Erkundungstour auf. Ausnahmsweise sind die Pilger
deutlich in der Unterzahl; Touristen und Einheimische dominieren das
Straßenbild. Vor einigen Jahren beschloss die Stadtverwaltung von León, den
privaten Personenkraftverkehr aus der Altstadt zu verbannen. Eine sehr weise
Entscheidung, wie ich finde. Als Marcos und ich schließlich vor der gotischen
Catedral de Santa María de Regia herumlungern, läuft uns doch glatt Lory in die
Arme, die spirituelle Rothaarige aus Louisiana. Sie erzählt uns, dass sie
zwischenzeitlich in den Zug gestiegen sei, um zwei Tage in León auszuspannen.
Für ihr Alter und ihre körperliche Verfassung sei ihr Zeitplan einfach zu
straff. Habe ich nicht vorhin noch über Selbstüberschätzung nachgedacht?
Natürlich ist es nicht Sinn der Sache, den Camino mit dem Zug zurückzulegen.
Andererseits hat sie alles richtig gemacht: Sie hat auf ihren Körper gehört,
tritt jetzt ein wenig kürzer und wird deshalb auch gesund und munter
weiterpilgern können. Außerdem sollte ich mich mit vorschnellen Urteilen
zurückhalten, schließlich wäre es für sie ein ungleich aufwendigerer Akt, den
Camino zu wiederholen. Bei der Gelegenheit erzählt Lory uns, dass Michelle in
der Herberge von Villalcázar de Sirga (etwa fünfeinhalb Kilometer vor der
ersten Römerstraße) von Bettwanzen heimgesucht wurde. Hatte Martina nicht ihre
Bettwanzen ebenfalls von dort? Scheint ja nicht gerade der sauberste Laden zu
sein. Schließlich verabschieden wir uns von Lory, und sie geht schnurstracks
auf ein Hostel zu. Davor sind Tische und Stühle aufgereiht, und ich erkenne
eine zierliche Frau aus der Herberge von Burgos wieder. Im Schlafsaal lag sie
mir schräg gegenüber Dunkelbraunes, zu einem Zopf gebundenes, leicht gelocktes
Haar helles Hemd, kurzer Rock, Wandersandalen. Merkwürdig, aber seitdem sehe
ich sie immer wieder, fällt mir jetzt erst auf: in Hontanas, Sahagún, Reliegos.
Dieses Pensum traut man der jungen Unbekannten gar nicht zu. Da sie irgendetwas
französisch Elegantes an sich hat, ordne ich sie dementsprechend geografisch
ein.
    Etwas später in der
Fußgängerzone zur Kathedrale kommt uns Chris entgegengelaufen, natürlich
fröhlich und topfit wie immer. Das passt ja perfekt. Zu dritt besichtigen wir
die stilistisch reine, allerdings technisch nicht besonders gelungene
Kathedrale. Entgegen anderslautender Behauptungen ist sie von einem Meisterwerk
sakraler Baukunst weit entfernt. Permanente Geldnot führte zu einem
vergleichsweise kurzen Langhaus; die neunzig Meter hohen Ecktürme der
Westfassade unterscheiden sich deutlich voneinander. Zudem entwickelte der
Baumeister einen falschen Ehrgeiz, seine äußerst gewagten Entwürfe führten zu
mehreren Teileinstürzen, die Kathedrale musste mehrmals grundlegend saniert
werden. Und genau diesen Eindruck vermittelt sie mir: Der Plan war okay, die
Umsetzung eher nicht. Kein Wunder also, dass das Bauwerk keinerlei Auswirkungen
auf folgende spanische Sakralbauten hatte. Einzig der Innenraum mit seinen
einhundertfünfundzwanzig spektakulären, teils zwölf Meter hohen
Buntglasfenstern weiß zu begeistern.
     
    Marcos und ich haben uns
diesmal bewusst für die kirchliche Herberge entschieden. Wie es sich für brave
Schäfchen gehört, Männlein und Weiblein strikt getrennt in zwei separaten Schlafsälen
untergebracht. Im Männersaal stehen siebenundzwanzig quietschende
Metallstockbetten. Wie fast alle Betten in den Herbergen sind auch diese nur
gut eins

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