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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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jemand auf Spanisch: »Lass dir deinen Camino von nichts und niemandem
zerstören.« Ziemlich martialisch, die Wortwahl. Wahrscheinlich deshalb hat
dieser Jemand ein großes Herz um seinen Spruch gemalt.
    Während ich wie ein
Gefängnisinsasse auf die Wände starre kauft Marcos den gesamten noch nicht
verdorbenen Gemüsebestand auf: zwei Tomaten und eine Zwiebel. Zurück in der Herberge
zaubert Ingo aus dem Gemüse, einer Packung Käse, zwei Dosen Thunfisch und
Restnudeln eine tolle Mahlzeit für vier Personen. Wir hocken in der großzügigen
Küche der Herberge, trinken Mahou (Biermarke; wird »Mao« ausgesprochen!) und
lassen es uns so richtig gut gehen. Bei der Gelegenheit erzählt uns Ingo von
einer deutschsprachigen Fahrradpilgerin, die mit ihrer fünfjährigen Tochter
zwei Wochen über den Camino radelt. Als sie in einer Herberge übernachten
wollte, dachte der hospitalero an eine Kindesentführung und rief die
Polizei. Erst nach einigen zähen Diskussionen und einer polizeilichen
Überprüfung durften Mutter und Tochter ihr Quartier beziehen. Nun frage ich
mich: Was macht die gute Frau mit einer Fünfjährigen auf dem mit Bettwanzen
verseuchten Camino? Und wieso denkt der hospitalero , deutsche
Kidnapperinnen würden bevorzugt in einer Pilgerherberge in Spanien
untertauchen?
    Spätabends sitzen wir bei einem
weiteren Bier im Central Park von Downtown Reliegos (Ingo und ich haben uns
entschieden, das Dorfzentrum sprachlich ein wenig aufzuwerten) und ergänzen
unsere Notizen. Am Himmel ziehen dicke Wolken auf, die wir heute Mittag auf der
Römerstraße hervorragend hätten gebrauchen können. Ich als Städter genieße es
richtig, den Abend ohne Straßenlärm ausklingen lassen zu können. In Dortmund
habe ich zwei Jahre lang direkt an einer Bushaltestelle und einer
Straßenkreuzung gewohnt. Ja, und erst die Borussenkneipe gegenüber, als
Schalker schwer erträglich. In Hamburg habe ich für zwölf Monate gegenüber dem
NDR-Gelände an einer vierspurigen Straße gewohnt. Die Hölle. Ich meine, dieses
Dauerrauschen ist eine Sache, aber Hamburger Autofahrer hupen auch noch
wahnsinnig gerne. Ob sie sich nun aufregen oder freuen, beschweren oder
bedanken, scheißegal. Für einen wie mich, der in regelmäßigen Abständen seine
Ruhe braucht, ein Fall für die UN-Menschenrechtskommission.
    Nebenbei beobachte ich die
ganze Zeit eine Katze, die nur wenige Meter von unserem Tisch entfernt auf dem
Boden kauert. Würde ich außerhalb der Stadt wohnen, wahrscheinlich hätte ich
zwei Katzen als Haustiere und würde meinen Fernseher in Rente schicken. Ich
finde meinen Fernseher großartig, ein tolles Exemplar, mit dem ich Wolf von
Lojewski durch Australien begleitet habe oder mit dem Wiedervereinigungsexpress
von Ho-Chi-Minh-Stadt nach Hanoi gefahren bin. Aber wenn das Ding erst einmal
weg wäre, würde ich es wahrscheinlich nur selten vermissen. Am Camino guckt man
auch mal einer Katze zu, die mit ihrer heutigen Einschaltquote zufrieden
scheint.
    Um halb zehn klappe ich das
Notizbüchlein zu, schalte die Katze aus (nein, eigentlich sprintet sie nur
davon) und trotte wieder zur Herberge zurück. Ich bin erschöpft und brauche
jetzt meinen Schlaf.
     
    Etappe 10: Sahagún — Reliegos
(31,6 km)

Mittwoch, 9. September 2009
     
    Normalerweise wache ich
mindestens einmal pro Nacht auf, auch zu Hause. Ich leide schon seit meiner
Kindheit unter Schlafstörungen, die periodisch auftauchen. Mal geht es mir
mehrere Wochen gut, und ich schlafe die Nächte ohne gravierende Zwischenfälle
durch. Dann quäle ich mich wieder wochenlang allnächtlich mit endlosen,
unkontrollierbaren Grübelattacken oder wache mehrmals auf. In den letzten
Wochen vor dem Camino hatte ich mehr mit Letzterem zu kämpfen. Vergangene Nacht
allerdings habe ich dermaßen kompromisslos durchgeschlafen, ich war acht
Stunden lang völlig weg. So langsam machen sich die Strapazen der letzten Tage
bezahlt.
    Nachdem wir unsere Sachen
zusammengepackt haben, sammeln wir uns nach und nach unten am Eingang. Als
Marcos und ich am Empfangstisch der Herberge herumlungern, springt irgendetwas
aus seinen Klamotten auf die Tischplatte. Wir beugen uns herunter und entdecken
eine fette schwarze Bettwanze. Wie ein Cowboy seinen Colt zieht Marcos ein
Taschentuch aus der Hosentasche und haut drauf. Blut fließt. Jetzt hat er auch
eine Bettwanze erledigt. Tote Bettwanzen pflastern unseren Weg, würde ich fast
behaupten. Wie durch ein Wunder ist Marcos nicht gebissen worden

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