Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
du
bist zu schnell für mich.« Wer unterhält sich nicht gern mit sympathischen,
interessanten, lieben Menschen? Es klingt so einfach, aber sich von lieb
gewonnenen Mitpilgern zu trennen kostet jedes Mal Überwindung, sogar wenn es
lediglich für einige Stunden gilt. Letztendlich aber wird die Überwindung
dieser Hürde reichlich belohnt, und zwar vom eigenen Körper. Notiz an mich: Ich
muss langsamer laufen.
Ab Mansilla de las Mulas bis
nach León verläuft der Camino parallel zur Nationalstraße N-601. Die ersten
dreieinhalb Kilometer bis nach Villamoros de Mansilla führen über einen
schmalen Schotterweg, der durch eine Leitplanke von der Fahrbahn abgetrennt
ist. Anschließend darf man als Pilger auf dem Seitenstreifen entlanglaufen. Man
stelle sich vor, die Deutschen würden Pilger aus aller Welt über den
ungesicherten Seitenstreifen einer Bundesstraße schicken. Aber in Spanien sehen
sie das ein wenig lockerer, als Pilger soll man es ja auch nicht allzu leicht
haben. Zumindest die Lkw-Fahrer sind mir wohlgesonnen: Immer wieder grüßen sie
mich mit einer Lichthupe, heben lächelnd — während sie mit achtzig
Stundenkilometern an mir vorbeibrausen — die Hand zum Gruß oder recken den
Daumen in die Höhe. So schlecht es mir gerade geht, das wundersame
Selbstverständnis der Menschen hier gegenüber den Pilgern berührt mich
zutiefst. So einen Umgang miteinander wünsche ich mir auch im Alltag.
Nicht nur ich bewege mich heute
mit der atemberaubenden Geschwindigkeit eines vollgefressenen Schnabeltiers.
Mir fällt eine kleine Spanierin um die fünfzig Jahre auf, die ziemlich genau in
meinem jetzigen Tempo läuft. Sie trägt ein blau-weiß gemustertes Kopftuch sowie
einen kugeligen, kobaltblauen Rucksack. Um die Hüfte hat sie einen knallroten
Pulli gebunden, so dass man auf den ersten Blick den Eindruck gewinnt, sie
trage einen extrovertierten Rock über der Hose. Nach mehr als zehn Kilometern,
die wir gemeinsam laufen, spricht sie mich auf Spanisch an. Ich verstehe
natürlich kein Wort und frage sie, ob sie Inglés könne, Englisch. Sie
zuckt die Achseln und redet auf Spanisch weiter. Sie deutet auf die Knöchel und
stellt eine Frage. Ah, wie es mir gehe. Pantomimisch antworte ich ihr, dass es
mir ziemlich dreckig gehe und ich starke Schmerzen hätte. Ein Schwall guter
Ratschläge schwappt über mich herein, detailliert beschreibt sie mir die
wertvollsten Hausmittel und einfachsten Tricks, um problemlos bis nach Santiago
de Compostela zu gelangen. Vermute ich. Irgendwie scheint sie nicht begriffen
zu haben, dass ich mit meinen Spanischkenntnissen bereits weit vor medizinischen
Fachbegriffen an meine Grenzen stoße. Ich nicke nur und sage: »Muchas
gracias«, in der Hoffnung mich dadurch nicht in irgendwelche merkwürdigen
Verpflichtungen manövriert zu haben. Da ich vergessen habe nach ihrem Namen zu
fragen, nenne ich sie der Einfachheit halber María. Die Wahrscheinlichkeit,
dass sie tatsächlich so heißt, ist nicht gerade gering, schließlich sind wir
hier in Spanien, wo sie alle irgendwelche christlichen Namen tragen: José,
Manuel, Jesús, Ana, Maria. Immer wieder erkundigt sich Maria nach meinem
Wohlbefinden, so dass ich mich auf der gesamten Strecke mütterlich umsorgt
fühle.
Nachdem wir einige
Straßendörfer passiert haben, nähern wir uns dem suburbanen Umland Leóns. Mein
Wanderführer behauptet: »So lange es keine Fußgängerbrücke gibt, müssen wir nun
die N601 überqueren (...)« Nun, es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht
für mich. Zuerst die gute: Die Fußgängerbrücke gibt es, nagelneu, knallblau,
hässlich wie die Nacht. Und jetzt die schlechte: Sie ist abgesperrt. Bis zur
feierlichen Eröffnung durch den Bürgermeister von León werden die Pilger über
eine saftige Anhöhe geschickt, selbstredend mit einem extrem steilen Abstieg.
Also stemme ich mich auf meine Wanderstöcke und kraxle den Berg hoch, so gut es
eben geht. Von der asphaltierten Straße führt ein lehmiger, völlig unzureichend
angelegter Weg hinunter in die Stadt. Von wegen Weg, die Mulde wirkt eher wie
ein ausgetrocknetes Flussbett. Ein Ehepaar aus Quebec kämpft sich mit uns den
Berghang hinab, und Marcos plauscht ein wenig mit ihnen auf Französisch. Ja,
der Herr Architekt spricht nicht nur Spanisch und Englisch, sondern auch
Französisch. Und Niederländisch ebenfalls, denn er hat für sechs Jahre eine
internationale Schule in Niederlande besucht. Daher der sensationelle Akzent.
Theoretisch hätte er sich
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