Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
emotionslose Geradeaus-Variante.
Kurz nach La Virgen del Camino
(Die Jungfrau des Weges?!) ist es soweit: Die Hälfte meines Weges liegt hinter
mir. Ich jauchze vor mich hin, Marcos gratuliert mir, und weiter geht’s. Obwohl
der Camino heute fast ausschließlich über hässlichen Asphalt führt, geht es
meinem rechten Bein wesentlich besser. Ärgerlich nur, dass jetzt plötzlich die
linke Wade anfängt höllisch zu brennen. Also beginne ich, im Ausfallschritt vor
mich hin zu humpeln. Dies führt nach etwa zehn Kilometern dazu, dass die
Schmerzen aus dem linken wieder in das rechte Bein wandern. Offensichtlich
sollte man normal weiterlaufen, egal welches Bein schmerzt, um die
Laufbelastung gleichmäßig zu verteilen. Während der Hinkerei ist mir Marcos
schon wieder davongelaufen, aber damit kann ich leben. Der rennt wie ein
Wahnsinniger, da kann ich nicht mithalten. Ich tröste mich damit, dass er fünf
Jahre jünger ist. Alsbald durchquere ich das Straßendorf San Miguel del Camino
und sehe den Denker in einer Bar hocken. Ich hoffe inständig, dass er heute
Abend nicht wieder vor meiner Visage herumtanzt. Sonst steht bald ein Kreuz
mehr am Wegesrand, fürchte ich.
Nachhaltig in Erinnerung wird
mir wohl die kleine Irrfahrt in Villadangos del Páramo bleiben, etwa fünf
Kilometer vor unserem heutigen Etappenziel. Mein schlauer Wanderführer
ignoriert die Originalstrecke komplett und widmet sich ausschließlich der
Alternativroute. Eine absolute Frechheit, wie ich finde. Dieser Wanderführer
entpuppt sich mehr und mehr als fehlerbehaftet; dabei wurde er mir von
Sebastian höchstpersönlich empfohlen. Na ja, eigentlich nur aus einem einzigen
Grund. Für den Camino Francés existieren zwei wichtige Pilgerführer: der rote
von Cordula Rabe, Bergverlag Rother, und der gelbe von Raimund Joos aus der
»Outdoor«-Reihe, Conrad Stein Verlag. Letztes Jahr, als Sebastian gen Santiago
unterwegs war, traf er auf Joos, wie er eine Pilgergruppe auf irgendeinen Berg
führte. Während sich Seb schwitzend hochhievte, fragte ihn eine gepäcklose
Wochenendpilgerin: »Ganz schön anstrengend, was?« Daraufhin hätte Seb die Dame
beinahe wieder zurück gen Bus befördert. Nun denn, schon hatte Joos einen Fan
weniger, und ich plage mich hier mit fehlenden oder fehlerhaften
Wegbeschreibungen herum.
Ich komme also in Villadangos
del Páramo an. Der Name des Dorfes hat es mir angetan, denn japanische
Reisklößchen heißen »dango«, weshalb ich mir ein Dorf komplett aus
japanischen Reisklößchen vorstelle. Gut, bei der Hitze ein bisschen ekelig,
aber was soll’s. Relativ entspannt lasse ich meinen Blick schweifen, als mir
aus einem mir entgegenrollenden Auto ein etwa vierzigjähriger Spanier zuruft: »¡Izquierda!« Links entlang! Alles klar, denke und biege links ab. Nach einer Weile frage ich
mich, wieso keine gelben Pfeile auftauchen. Irgendwann fällt der Groschen: per
Fahrer meinte links, aber von sich aus gesehen, nicht von mir! Das kommt davon,
wenn man Spanisch lernt. Hätte ich nichts verstanden, wäre ich stumpf an der
N-120 weitergelaufen. Auch nicht richtig, aber zielführender als irgendwo
mitten im Feld zu stehen und herumzufluchen. Da viele Dorfkirchen direkt am
Camino erbaut wurden, orientiere ich mich einfach daran und laufe Richtung
Iglesia de Santiago von Villadangos del Páramo. Die ist glücklicherweise
geöffnet, und der Pfarrer heilfroh, dass mal ein Pilger vorbeischaut.
Offensichtlich führt der Camino komplett an dieser Kirche vorbei, so dass sich
so gut wie niemand hierher verirrt. So viel zu meiner Kirchentaktik. Auf
Spanisch lässt er sogleich Salven auf mich los, ich bin völlig baff und
irgendwie glücklich, dass ich ihm allein durch meine Anwesenheit so viel Freude
bereiten kann. Irrwege können eben manchmal auch die wertvolleren Wege sein, um
mal einen echt platten Spruch loszulassen. In gebrochenem Spanisch erzähle ich
ihm ein wenig von mir, was natürlich weitere Salven zur Folge hat. Nachdem er
mir stolz seinen Stempel in den Pilgerpass gedrückt hat, schickt er mich —
gemeinsam mit einem älteren Einheimischen — mithilfe von » derecha «, »izquierda« und » abajo « auf den Camino zurück. Gleich an der nächsten Ecke
leuchten mir natürlich gleich fünf gelbe Pfeile entgegen.
Die restliche Strecke nach San
Martin del Camino erweist sich als unglaublich leicht. Etwa eine Stunde lang
wandere ich neben der Nationalstraße her auf einem komfortablen Wanderweg. Am
Ortseingang wartet Marcos
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