Vom Tod verführt: Roman (German Edition)
nach einem Stab, mit dem sich Magie überprüfen ließ. » Hände hoch, Handflächen nach außen!«
Ich tat, was er verlangte, und verbarg meine Ungeduld, während er den Stab, der mit einem einfachen Identifizierungszauber belegt war, über meinen Körper führte. Die gläserne Kugel an der Spitze leuchtete grün, als sie über meine rechte Hand und den Obsidianring glitt, in dem ich meinen Magievorrat speicherte. Grün bedeutete ungebundene Magie, kein aktiver Zauber.
An meinem anderen Handgelenk verfärbte sich die Kugel gelb, als der Stab über mein Schutzarmband fuhr– aktive Magie, jedoch kein Zauber, der Böses bewirken konnte. Ein bösartiger Zauber, selbst wenn er inaktiv war, ließ die Kugel rot aufleuchten. Was sie in meinem Fall nicht tat.
Der Mann nickte mir zu und legte den Stab beiseite. Ich durfte die Hände runternehmen und griff nach meiner Handtasche, meiner Brieftasche und dem Schnipsel, den ich brauchte, um mein Messer zurückzubekommen, wenn ich das Gebäude wieder verließ. Dann ging ich zu den Aufzügen.
Das karge Gebäude, in dem mehrere Dienststellen untergebracht waren, befand sich mitten in der Innenstadt von Nekros City, im Justizviertel, wie die Leute es nannten, weil hier Gouverneurspalast, Oberster Gerichtshof und die Zentrale Polizeibehörde beieinanderlagen.
Im Erdgeschoss war das Polizeihauptquartier untergebracht, ebenso die Büros des Stellvertretenden Leiters der Polizeibehörde. Die oberen Stockwerke beherbergten das zentrale kriminaltechnische Labor und die Räume des Bezirksstaatsanwalts. Doch ich wollte nicht nach oben, sondern ins Untergeschoss. In den Bereich der Gerichtsmedizin, dorthin, wo sich d as Herzstück von Tamaras Reich befand: das Leichenschauhaus.
John Matthews, der beste Detective, den man meiner Meinung nach in Nekros City finden konnte– nun ja, er war ein guter Freund von mir–, wartete vor dem Haupteingang zur Gerichtsmedizin auf mich. Ein Bär von einem Mann, der auf dem orangefarbenen Plastikstuhl sicherlich nicht sehr bequem saß. Doch sein Kinn lag auf der Brust, die Augen waren geschlossen. Also bequem genug für ein Nickerchen. Seine braune Jacke war völlig zerknittert. Anscheinend hatte er die Nacht durchgearbeitet, denn Maria hätte ihn so niemals aus dem Haus gelassen.
» Alles klar, John?«, fragte ich, während ich das Schildchen, das mich als Besucherin auswies, am Träger meines Tops befestigte. Ich schrie nicht, na ja, nicht wirklich, doch ich zuckte selbst zusammen, weil meine Stimme von den Wänden widerhallte.
Johns Kopf schoss hoch. Die Akte, die auf seinem Schoß gelegen hatte, fiel herunter, lose Seiten wirbelten über den Boden.
» Alex? Bitte, tu so was nie wieder!«
Okay, vielleicht hätte ich ihn doch etwas sanfter wecken sollen.
Ich kniete mich hin und sammelte die Papiere auf. Auch Fotos waren herausgefallen, und ich griff nach einem, das unter den Stuhl geflattert war. Die bleiche Schulter darauf stand in scharfem Kontrast zu den schwarzen Müllbeuteln, die das Bild beherrschten. Aus einem der dunklen Plastiksäcke ragte zudem eine kraftlose Hand, die schmale, zarte Hand einer Frau.
Ich reichte John Foto und Papiere. » Menschlicher Abfall?«
John nickte und rieb sich die müden Augen, unter denen dunkle Schatten lagen. » Schon das dritte Mädchen in diesem Monat. Und alle Morde nach dem gleichen Muster.«
Das dritte? Da mussten die Cops aber wirklich dichtgehalten haben, dass sich die Medien nicht auf gleich drei Mordfälle stürzten, die miteinander zu tun hatten. Ich hätte zu gern einen Blick in die Akte geworfen. Morbide Neugier ist nun mal eine Charakterschwäche von mir, aber ich verdiene meinen Lebensunterhalt ja auch damit, dass ich mit Toten spreche. Ich drängte John nicht, zumindest noch nicht. Er würde mir so viel erzählen, wie er für ratsam hielt.
Ich deutete mit dem Kopf auf den Bericht. » Ist sie diejenige, die ich für dich beschwören soll?«
Er nickte. » Ja. Meine Müllsack-Leiche.«
Unidentifiziert. Unbekannt. » Ich nehme an, bei den beiden Morden zuvor gab’s auch keinen Hinweis auf den Täter.«
» Wäre ja sonst nicht fair, dich um Hilfe zu bitten.« Er sagte dies leichthin, doch seine Schultern sackten nach unten. » Hast du einen Stift?«
Ich zog den Kugelschreiber hervor, den ich dem Mann stibitzt hatte, bei dem ich mich als Besucherin der Gerichtsmedizin hatte eintragen müssen. John blätterte die Seiten durch und zog einige heraus. Der übliche Papierkram, den ich
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