Vom Wunsch, Indianer zu werden

werden wir Ihnen nicht böse sein. Nicht wahr, Schätzle? Wenn der Herr Franz lachen muß, werden wir das als ein Zeichen von Sensibilität auffassen. Wer kitzlig ist, ist an gewissen Stellen besonders empfindlich.
    Was rede ich? dachte sie.
    Karl räusperte sich.
    Wenn der Herr Franz nichts dagegen habe, sagte er, könne man sich gleich ans Tischchen setzen.
    Sie hier, wenn es Ihnen recht ist, und du bitte dort, Klara! Der Tisch ist ein magischer Kreis, und wir sitzen an den Punkten A, B und C eines gleichschenkeligen Dreiecks.
    Dann saßen sie also um das Tischchen herum. Unter ihnen das Schiff (13 182 Bruttoregistertonnen), unter dem Schiff der Atlantik. Und der (der Atlantik), so May, sei im Durchschnitt 3332 Meter tief. Aber an seinen tiefsten Stellen gehe es über 9000 Meter hinunter.
    Es ist wichtig, sagte Frau Klara, daß die Spitzen
Ihrer
kleinen Finger die Spitzen
unserer
kleinen Finger berühren.
    Zu ihrer Erleichterung erfolgte die Kontaktaufnahme mit dem Herrn Franz ohne weitere Entladung.
    Fühlen Sie etwas? Janein, ich weiß nicht, sagte der Herr Franz.
    Doch, sagte Frau Klara, das Fluidum sei deutlich zu spüren.
    Fühlte er es wirklich? Das Kribbeln von vorhin kam wieder. Oder begannen ihm einfach die Hände einzuschlafen? Jedenfalls kitzelte es. Er fing zu kichern an.
    Schon gut, sagte Frau Klara, jetzt wollen wir uns auf jemanden konzentrieren.
    Sie sind der Gast, sagte May, also schlagen Sie jemanden vor.
    Bedaure, kicherte der Herr Franz, den es nun auch in den Unterarmen kribbelte, aber mir fällt niemand ein.
    Das war zu erwarten gewesen. Hundert zu eins hätte der Menschenkenner May darauf gewettet.
    Dann du, Schätzle, sagte Frau Klara. Sag, wer solls denn sein?
    May hatte sich das längst überlegt (die kleine Pause, die er an dieser Stelle ließ, war eine Kunstpause). Zur Einstimmung, hatte er gedacht, eine sozusagen unverfängliche Beschwörung. Nicht gleich eine der seinem Kopf entsprungenen Figuren würden sie einleitend auftreten lassen, sondern irgend jemand anderen. Besser eine sogenannte historische Persönlichkeit. Das erhöht die Glaubwürdigkeit des folgenden.
    Also zum Beispiel, was lag denn näher (?): Columbus. Den könnte man über seine ersten Begegnungen mit den Indianern befragen und hätte dann gleich eine praktikable Brücke. Bitte, auch Winnetou war eine historische Persönlichkeit. Geboren am 7. 6. 1840, also im Zeichen der Zwillinge, und erschossen am 2. 9. 1874.
    Na schön (Frau Klara seufzte ein bißchen) –: Columbus.
    Wenns sonst nichts ist! Konzentrieren wir uns auf
ihn
.
    Sie schloß die Augen. Die beiden Herren taten es ihr nach.
    Christoph Columbus! Kannst du uns hören? Christoph Columbus!
    Vielleicht, sagte May, sollten wir ihn mit Cristoforo Colombo ansprechen.
    Das Kichern des Herrn Franz.
    Cristoforo Colombo, bist du in der Nähe?
    Das Kichern des Herrn Franz, zunehmend. Das Kribbeln lief ihm jetzt durch die Oberarme.
    Klara: So helft mir doch! – Cristoforo Colombo!
    Klara & May im Chor: Cristoforo Colombo!
    Klara: Sie auch, Herr Franz!
    Kafka: Nein, ich bitte tausendmal um Vergebung, aber ich kann nicht!
    Das Kichern des Herrn Franz. Das Kribbeln hatte nun seine Achselhöhlen erreicht. Und staute sich dort. Was konnte man da anderes machen, als lachen?
    May wirkte verstimmt.
    Kommen Sie, sagte Frau Klara, Sie müssen nur Ihre Abwehrhaltung aufgeben.
    Was denn für eine Abwehrhaltung? Der Herr Franz hatte überhaupt keine Abwehrhaltung!
    Wenn er keinen Sinn für Höheres hat, dachte May, soll er doch zurück in sein Zwischendeck!
    Es komme ihm nur, sagte der Herr Franz, zugegeben, etwas komisch vor, hier zu sitzen und auf Columbus zu warten.
    Wenn Sie Columbus nicht mögen, sagte Frau Klara, rufen Sie halt jemand anderen.
    Wen soll man schon rufen?
    Rufen Sie einfach den, der Ihnen als erster in den Sinn kommt.
    O nein, sagte Kafka, das sei keine gute Idee!
    Das Lachen war ihm vergangen. Anscheinend waren seine Arme jetzt vollends eingeschlafen.
    Und dann passiert es. Es klopft unter seinen Händen.
    Er sagt nicht: Herein. Aber er weiß, es geht trotzdem eine Tür auf.
    Er spürt den Luftzug und hört die Schritte, die sich nähern.
    Dreh dich nicht um, dein Buckel ist krumm – schon im Volksschulalter hat ihn seine Mutter ermahnt, sich gerade zu halten.
    Wie üblich, sagt sein Vater, du machst eine völlig unglückliche Figur.
    Natürlich. Er ist es. Wer sonst? Der Sohn hat es ja geahnt!
    Das nenn ich mir, sagt der Vater, einen feinen Sohn. Er sieht