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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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genauso aus, wie ich ihn nicht haben wollte!
    Und leider, sagt er, sieht er nicht nur so aus … Weißt du eigentlich, was du deiner Mutter und mir antust? Da hat man sich sein Leben lang geplagt, um nicht zu sagen, man hat sich aufgeopfert! Und das ist das Ergebnis! Eigentlich sollte ich ja froh sein, daß ich dich los bin!
    Ja, Papá, sagt der Sohn mit kindlicher Stimme.
    Also was soll der Unsinn, was hast du dir eigentlich bei alldem gedacht?
    Nichts, Papá.
    Halt mich nur ja nicht für dumm, sagt die Stimme des Vaters. Erstes Gebot: Du sollst deinen Vater nicht für dumm halten!
    Klar, Papá.
    Hast wohl geglaubt, du kannst mir davonfahren?
    Nein, Papá.
    Halt den Mund, sagt die Stimme des Vaters, und lüg nicht! Amerika, was? Freiheitsstatue, wie? Land der unbegrenzten Möglichkeiten?! – Daß du dich nur nicht täuschst, deine Möglichkeiten sind sehr begrenzt!
    Ich weiß, sagt der Sohn.
    Spiel jetzt bloß nicht den Einsichtigen, sagt der Vater. Ich kenn dich. Deine verdammte Bescheidenheit ist schon fast wieder eitel.
    May nickt. Wo der alte Herr Kafka recht hat, hat er recht. Nicht, daß ihm der Mann sympathisch ist, aber für manche seiner Einwände hat er durchaus Verständnis.
    In Wirklichkeit hast du die ärgsten Flausen im Kopf! Bildest dir ein, wer weiß was zu sein, auf jeden Fall etwas Besseres! Aber wehe, wenn es um den Ernst des Lebens geht, praktische Dinge, den Alltag, mit dem sich alle normalen Menschen halt abfinden müssen. Dann kannst du
das
nicht und kannst du
jenes
nicht und würdest deinem Vater, der sich ruhig zu Tode arbeiten soll, am liebsten bis an sein Lebensende auf der Tasche liegen!
    Aber nein, Papá, sagte der Sohn, dort drüben in Amerika …
    Ach ja, drüben in Amerika, sagte der Vater, das würde dir so passen! Zu Haus alles stehen und liegen lassen, die Familie in Verruf und die Mutter noch ins Grab bringen! Alte Welt, was? Kann sehen, wo sie bleibt, wie? Und der Herr Sohn macht sich drüben in der
neuen
Welt ein feines Leben!
    Der Sohn schweigt.
    Aber so läuft das nicht, sagt der Vater. Glaub ja nicht, du kannst einfach auskneifen! Gerade du bist nicht der Kerl dazu! – Da hat man sich bemüht, einen kräftigen und mutigen Jungen heranzuziehen! Und was ist dabei herausgekommen (?): Ein meschuggener Ritoch!
    Also doch! May hat es sich ja gedacht! Vom ersten Moment an, in dem er den Herrn Franz gesehen hat. Nicht, daß es ihn wirklich gestört hat, alle Menschen sind gleich und Brüder. Aber daß ein Mensch ein Jud ist, wird man sich doch noch denken dürfen! Alle Menschen sind gleich und Brüder, manche sind allerdings ein bißchen anders. Vielleicht hat ihn ja gerade das besonders angezogen. Auch auf Klara hat das gewiß seine Wirkung. May kennt seine Frau. In dieser Hinsicht kann sie ihm nichts vormachen.
    Ein meschuggener Ritoch, sagt Kafkas Vater. Aber nur keine Angst, ich laß dich deine Verrücktheiten nicht zu weit treiben! Du und Amerika! So eine Schnapsidee! Ich will nur dein Bestes. Darum wirst du gefälligst in Prag bleiben.
    Und schreiben?
    Ach was, schreiben, sagt der Vater. Glaub ja nicht, ich weiß nicht, worauf dein Geschreibsel hinausläuft! Da brauche ich keine Zeile davon zu lesen! Was immer du schreibst, ist gegen mich gerichtet!
    Siehst du, Papá …
    Bitte, ich verlange ja keine Dankbarkeit. Aber vielleicht bin ich einfach zu gut zu dir gewesen. Nie hast du etwas entbehren müssen, viel zu viele Freiheiten hast du gehabt, einfach in den Tag hinein hast du leben können. Und wozu hast du das alles benutzt? Um nicht nur mir, sondern deiner ganzen Familie in den Rücken zu fallen!
    In Amerika, sagt der Sohn, würde ich vielleicht
nicht
schreiben.
    Versuch jetzt nicht, mich um den Finger zu wickeln, sagt der Vater.
    Oder zumindest würde ich etwas anderes schreiben.
    Ja, sagt der Vater, aber dann würdest du mich auf andere Weise hintergehen!
    Wie denn? Warum denn?
    Du würdest womöglich heiraten und Kinder in die Welt setzen!
    Na, hören Sie – Frau May kann nicht länger passiv bleiben – warum soll er das denn nicht?
    Sie
mischen sich gar nicht ein, sagt der Herr Franz mit der Stimme seines Vaters.
    Spielen Sie sich bloß nicht so auf, sagt Frau May, schließlich bin ich es, der Sie diesen Rapport mit Ihrem Sohn verdanken!
    Ach was, sagt die Stimme des Vaters, sie kommt von sehr tief unten. Die Dame will sich wichtig machen, die Dame scheint die Rolle, die sie spielt, zu überschätzen! Die Wahrheit ist: Mein Sohn kann mir gar nichts verbergen. Auch

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