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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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setze die Bälle regelmäßig hinter die T-Linie. Mahlow lächelt mitleidig, ich koche vor Wut. Wir haben Platz 8, ganz außen an der Straße. Aber ich sehe Borkenhagen erst, als er neben mir steht und mich behindert. „Seien Sie gegrüßt, großer Meister!“ sagt Borkenhagen. Er trägt helle Jeans, ein tomatenrotes Frotteehemd, keine Strümpfe und Jesuslatschen. In der rechten Hand hält er einen orangefarbenen Schnellhefter, vielleicht fingerdick gefüllt. Es entwickelt sich folgender Dialog:
    Borkenhagen: Es ist noch kein Meister auf den Tennisplatz gefallen…
    Ich: Wie das Studium der Publizistik doch die Beobachtungsgabe schärft! Wie kommen Sie denn hierher? Sind Sie umgezogen?
    Borkenhagen: Was denn, seh ich schon so aus wie der Insasse einer Neubauwohnung? Jedem seine numerierte Zelle, in der er fernsehen und saufen, fressen und schlafen und vor dem Schlafen beischlafen kann, um unsere Gesellschaft mit seinen Ebenbildern zu beglücken? Brrr! Wie die Hühner im Silo… Und draußen warten die, die die Eier in die Pfanne hauen und das Schlachtfest vorbereiten – die sogenannte Gesellschaft…
    Ich: Und ich als Helfershelfer dieser Schlächter soll Ihnen das abkaufen, was Sie da in Ihrem Schnellhefter haben?
    Borkenhagen: Sind Sie Hellseher?
    Ich: Nein, Borkenhagen-Kenner. Seit Ihrer Volontärzeit bei uns ist das schon die dritte Story, die Sie mir verkaufen wollen.
    Borkenhagen: Wer immer strebend sich bemüht… Sie, diese Geschichte ist wirklich faszinierend, originell, verblüffend! Sie werden Ihren ersten literarischen Orgasmus bekommen, wenn Sie sie lesen. Ein Knüller, sag ich Ihnen!
    Ich: Haben Sie die Beate-Uhse-Story verbrochen?
    Borkenhagen: Nein. Die Nedomanski-Story.
    Ich: Nedomanski? Der mit den NEDO-Werken? Ist er vielleicht an einer seiner Pillen erstickt? Oder hat er womöglich ein Mittel gegen den Untergang des Abendlandes entdeckt?
    Borkenhagen: Wozu? Da haben wir ja schon Gummiknüppel, Tränengas und Wasserwerfer… Sagen Sie mal, lesen Sie keine Illustrierte?
    Ich: Ich? Mensch, ich mach doch eine! Aber wenn es Sie interessiert: Ich habe gerade drei Wochen Urlaub gemacht in einem gottverlassenen Nest in Irland.
    Borkenhagen: Sie haben den interessantesten Kriminalfall des Jahrzehnts versäumt. Wie schön, daß ich Ihnen da informatorischen Nachhilfeunterricht erteilen kann. Vertrauliche Informationen aus erster Hand – Sie werden es nicht für möglich halten, aber ich bin stärker in den Fall verwickelt als mir lieb sein kann… Drei Tage und drei Nächte lang habe ich an der Schreibmaschine gesessen; den Rest der Geschichte bekommen Sie, wenn der Film in voller Länge abgelaufen ist. Aber langer Rede kurzer Sinn: Ich brauche 5000 Mark.
    Ich: Ich auch.
    Borkenhagen: Meine Story ist das wert… Ich will durch Südamerika trampen, Doktor. Ich will erst mal raus. Das heißt, sobald sie mich weglassen.
    Ich: Wer hindert Sie?
    Borkenhagen: Einstweilen noch die Polizei… Lesen Sie’s, dann verstehen Sie, was ich meine. Ich habe es nicht in der Ich-Form geschrieben, damit Sie es gleich so drucken können, wie es dasteht. Ob Sie es unter Ihrem Namen veröffentlichen oder unter meinem, ist mir vollkommen egal, Hauptsache, Sie sehen endlich ein, daß ich Talent habe.
    Er drückt mir den Schnellhefter in die Hand und verschwindet grußlos.
    Ja, das war Robert Borkenhagen, Student der Publizistik, der Soziologie und der Politischen Wissenschaften, 27 Jahre alt, ein Liebling der Götter. Unsere Fotografen haben sich große Mühe gegeben, und die drei Hochglanzfotos, die auf meinem Schreibtisch liegen, sind einfach Klasse. Langes, aber nicht schulterlanges Haar. Ein freundliches, rundes Gesicht mit einem blonden Schnauzbart. Hellblaue, lachende Augen; Ganghofer würde schreiben: zwei schimmernde Seen voll heiterer Ironie. Untersetzt, ja stämmig ist er, und doch wirken seine Bewegungen weich und katzenhaft. Ich mag ihn. Beim Lachen hat er Grübchen in den Wangen…
    Ich werde mir wohl die Arbeit machen müssen und Borkenhagens Beichte mit Bedacht lesen. Es ist nicht schlecht, was er da zusammengeschrieben hat, gewiß nicht, aber ob man viel davon in dieser Form übernehmen kann? Na, mal sehen…
    Borkenhagen kam von der Gedächtniskirche und rollte langsam den Kurfürstendamm hinunter, aber offenbar brauchte niemand ein Taxi. Der Abend war mild und trocken, und Kinos und Theater spielten noch. Sein Chef hatte darauf bestanden, daß er sich schon um acht in den schwarzen Mercedes setzte, denn die

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