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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Stirn.
    Wäre auch kein schlechter Anfang. Allerdings müßte dann kommen, daß Dreyer lediglich Max Nedomanskis Foto aus dem Mitteilungsblatt der NEDO-Werke ausgeschnitten und auf ein Stück Pappe geklebt hatte, um eine geeignete Zielscheibe für seine Übungen mit der Luftpistole zu haben.
    Blatt Nr. 54. Manfred Raabe, 31, Spitzname ,Freddy’, Ladearbeiter, betätigt sich im Augenblick als Einbrecher. Sein Komplice arbeitet in einem Delikatessengeschäft, das die Parties reicher Leute beliefert. Er bekommt von dort die Tips, wo etwas los ist, und steigt dann ein, während die Gäste lärmend feiern, und läßt Schmuck und Geld mitgehen. Ein Kumpel (Günther G.) über ihn:
    Freddy ist ein eiskalter Bursche. Er hat mir des öfteren gesagt, daß er jeden umlegt, der sich ihm in den Weg stellt. Einen Mordversuch hat er ja schon aufm Konto. Aber das weiß keiner.
    Das wären die eigentlichen Hauptpersonen der Handlung… Moment, da war doch noch… Wo hab ich denn das Blatt? Ach so – das muß weiter vorn liegen. Ich hätte das Material unter der laufenden Nummer sortiert lassen sollen. Systematiker sollte man sein… Hier!
    Blatt Nr. 33. Max Nedomanski, 56, Unternehmer. Bemerkung zu einem Geschäftsfreund am 25. Mai abends im Coupe 77:
    Alles was da um mich herum kreucht und fleucht ist mir derart zuwider – kannst du dir gar nicht vorstellen! Weißt du, was ich mir manchmal denke? Ich lade die ganze Bagage zu meinem Geburtstag in meine Villa ein – alle die lieben Verwandten und sogenannten Freunde, die mir dauernd in den Arsch kriechen, obwohl sie mich nicht ausstehen können… Und unten im Keller liegt ein Haufen Dynamit, und in dem Moment, wo sie auf mein Wohl anstoßen, fliegt der ganze Laden in die Luft – das wäre doch endlich mal was anderes! Mich kotzt sowieso alles an… Du bist doch Bauunternehmer, Heinz, du sprengst doch jeden Monat in den Sanierungsgebieten die alten Mietskasernen in die Luft – kannst du mir nicht ‘n bißchen Dynamit… Was, du willst nicht? Daß ich nicht lache! Ich hab dich doch in der Hand – und wenn ich will, dann besorgst du mir Dynamit, verstanden?!
    Mensch, bin ich besoffen!
    Nicht schlecht, eine recht effektvolle Erklärung. Man muß sie nur an der richtigen Stelle placieren. Aber wie bekomme ich denn eine sinnvolle Ordnung in meine Sammlung? Scheiß-Arbeit! Halb neun ist es schon geworden, verdammt noch mal! Und diesen dreimal verfluchten Borkenhagen muß ich auch noch irgendwo unterbringen. Ist ja schließlich in gewisser Hinsicht die Hauptperson.
    Blatt Nr. 21. Robert Borkenhagen, 27, Student der Publizistik. Wird möglicherweise trotzdem mal ein brauchbarer Journalist – kommt ja vor, hin und wieder. – B. sagte in einem Gespräch mit mir:
    Man kann eine soziale Handlung, die sich zwischen zwei Menschen abspielt, als Journalist oder Schriftsteller nur dann vollkommen adäquat beschreiben, analysieren und erklären, wenn man sie unter ähnlichen Umständen selbst einmal begangen hat. Introspektion ist das einzige Mittel, mit dem man die Wirklichkeit angemessen erfassen kann. Ja, das gilt auch für einen Mord. Nur ein Mörder kann einen Mord, der von einem anderen begangen wird, richtig beschreiben und die Motive ans Licht bringen, weil er allein in der Lage ist, den Täter zu verstehen. Sie, Doc, wären da nur ein Stümper, ein Hochstapler, ein Schaumschläger, ein literarischer Betrüger.
    Zusatz: In einem Taschenbuch, das Borkenhagen gehört (Robert Musil, Die Verwirrungen des Zöglings Törleß, rororo Nr. 300, S. 145), fand ich folgenden Satz unterstrichen: Es ist etwas Dunkles in mir, unter allen Gedanken, das ich mit den Gedanken nicht ausmessen kann, ein Leben, das sich nicht in Worten ausdrückt und das doch mein Leben ist…
    Das ist zwar in mancher Hinsicht Blech – nicht was Musil, sondern was Borkenhagen da gesagt hat – , aber er riskiert wenigstens eine Meinung und kann sie einigermaßen formulieren… Er ist es übrigens, der mir die ganze Suppe eingebrockt hat. Ohne seinen Ehrgeiz könnte ich mir heute abend einen schönen Abend machen und brauchte mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man diesen Wust von Informationen zu einer knappen Story verdichten… eh, straffen soll…
    Nur widerwillig greife ich zu dem Gedächtnisprotokoll, das ich über Borkenhagens erstes Kontaktgespräch mit mir angefertigt habe.
    Tennisplätze am Kurfürstendamm, 11. Juli, vier Uhr nachmittags; Gluthitze, Trainerstunde bei Mahlow. Wir üben Aufschlag, und ich

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