Von den Sternen gekuesst
entfährt es mir.
»Ich sage das nicht, weil ich dich beschützen will, Kate. Ich sage das, um uns alle zu beschützen. An Violettes Vorhaben wird sich nichts geändert haben. Sie will dich in diese Falle locken, um deine Meisterkräfte auf sich zu übertragen. Und zum jetzigen Zeitpunkt könnte sie uns sogar ohne die zusätzlichen Fähigkeiten besiegen. In Paris sind derzeit mindestens doppelt so viele Numa wie Bardia. Aber ihre Machtgeilheit kennt ja keine Grenzen. Sie will dich und wird dafür selbst eine unorganisierte Schlacht vom Zaun brechen, um sich diesen Wunsch zu erfüllen. Deshalb kannst du da nicht erscheinen.«
Wütend schüttele ich den Kopf. »Diese Entscheidung kannst du mir nicht abnehmen«, sage ich.
»Lasst uns bitte allein«, ist Vincents knappe Reaktion. Er will seinen Willen durchsetzen. Zu dumm, dass es mir genauso geht.
Die Eingangshalle leert sich, bis nur noch Vincent, Charlotte und ich im tausendfach gebrochenen und funkelnden Licht des riesigen Kronleuchters stehen.
»Wenn wir hier etwa Taktisches planen, muss ich dabei sein«, sagt Charlotte entschuldigend.
Wir bilden ein ernstes Dreieck, sind gerade weder Freunde noch Liebende. Unsere Gefühle zählen zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir müssen rational denken, eine Entscheidung fällen, die jeden betrifft, den wir kennen.
»Ich bin jetzt eine von euch«, setze ich an. »Ich werde mich nicht hier verkriechen, nur um mich vor Gefahren zu schützen. Ich bin doch nicht ohne Grund die Meisterin geworden. Und ganz egal, was genau die Prophezeiung letztendlich aussagt – ob ich nun die Bardia zum Sieg über die Numa führe und dabei meinen Tod riskiere oder die Schlacht tatsächlich überlebe –, ich bin dafür auserkoren. Ich muss Violette gegenübertreten. Das spüre ich, hier drin«, sage ich und lege eine Hand auf die Brust, wobei ich ungewollt das signum gegen meine Haut presse. Ich schaue in traurige blaue Augen. »Vincent, ich war mir noch nie in meinem Leben so sicher.«
Er hält meinem Blick stand, als würde er darauf warten, dass ich meine Meinung ändere. Und dann lässt er plötzlich die Schultern und den Kopf hängen. Er schließt die Augen und fasst sich mit den Fingern an die Stirn.
Ohne mich anzusehen, murmelt er: »Gut, ich gebe mich geschlagen.« Dann, wieder ganz im Führungsmodus, sagt er: »Charlotte, trommele die anderen zusammen. Sag ihnen, sie sollen alle Anverwandten verständigen, die sich bewaffnet bereithalten. Wir sammeln uns am südlichen Eingang des Parks, der die Arena umgibt.« Charlotte nickt und zieht los.
Vincent und ich bleiben allein in der Eingangshalle zurück. Er schaut mich an, als wäre ich eine Fremde. Als würde er mich zum allerersten Mal sehen. Ein Meter trennt uns, aber er fühlt sich an wie eine Meile. »Das könnte unser Ende sein, Kate. Das Ende von uns allen. Aber ganz speziell und am wahrscheinlichsten deins.«
»Ich weiß«, sage ich und recke das Kinn.
Er bleibt für ein paar Augenblicke stumm. »Meine erste Reaktion darauf, dass du als Revenant zu dir gekommen bist, war Freude«, sagt er endlich. »Weil ich gedacht habe, das löst all unsere Probleme auf einen Schlag. Jetzt können wir buchstäblich für immer zusammenbleiben. Auch wenn es mir ehrlich leidtat, dass du nun auch diesen schwierigen Weg beschreiten musst, dachte ich, zusammen machen wir etwas Gutes und Schönes aus diesem Schicksal.«
»Vincent, ich …«, setze ich an, doch er hebt die Hand, bittet darum, ausreden zu dürfen.
»Und dann erzählte Bran, dass du die Meisterin bist. Da versiegte meine Freude, weil ich wusste, du wirst nie wieder du selbst sein dürfen. Du wirst immer diese große Verantwortung tragen – denn das Überleben unserer Anverwandten genau wie die Sicherheit dieser Stadt, dieses Landes liegen von nun an in deiner Hand. Bis zu dem Tag, an dem die Schlacht gegen die Numa beginnt. Und ich wusste, wenn dieser Tag kommt, kann der Sieg, zu dem du uns führst, für dich in einer Tragödie enden. Und für mich und deine Familie. Es ist so leicht, dich zu zerstören, denn du bist das Ziel, auf das sich alle ausrichten werden.«
Ich hole tief Luft, denn er hat ja recht. »Meine Großeltern und meine Schwester wissen, was ein Revenant ist und welchen Gefahren ich dadurch ausgesetzt bin. Sie hatten nun ein bisschen Zeit, sich mit dem Gedanken anzufreunden.« Ich verstumme kurz. »Wie sage ich das nur am besten? Wenn mein Heimatland Krieg führen und ich es verteidigen wollte, wären meine
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